Volkswagen: 40 Jahre Polo

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Es war der kälteste aller Wintereinbrüche in der Automobilbranche, so der Tenor der Konzernchefs beim traditionellen Frühjahrstreff auf dem Genfer Salon 1975. Die Folgen der Ölkrise waren noch nicht überwunden, da sorgte die frostige Jahreszeit erneut für tiefrote Zahlen in den Auftragsbüchern. Was tun? Polo zum neuen Volkssport machen, sagte sich Volkswagen. Mit einem hochmodernen Kleinwagen auf Audi-50-Basis das Konzernangebot komplettieren und den Käfer endgültig in den Ruhestand schicken. Während der Mini mit Audi-Ringen als ebenso schicker wie schneller feiner Kleiner sogar Mittelklassewagen vor sich hertrieb, sollte der nachgeborene Zwillingsbruder mit VW-Logo als asketischer Zwerg die sogenannten Blech-Ei- sprich Sparkäfer-Käufer für sich gewinnen. Vor allem aber von den bis dahin dominierenden französischen und italienischen Kleinwagenherstellern die Kunden abziehen.

Tatsächlich gelang dem 3,50 Meter kurzen Polo mit großer Heckklappe sogar noch mehr: Er machte das Cityflitzer-Segment zum Spielplatz neuer Kleiner fast aller Massenmarken. Nicht nur Ford, Opel oder Citroën zogen nach, auch die Japaner fanden nun Spaß am Schrägheck im Bonsaiformat. Bevor jedoch des Polos erstaunliche Karriere zum Marktführer und Multi-Millionenerfolg Fahrt aufnahm, musste der kleinste Wolfsburger erst einmal seine anfängliche, übertriebene Knauserigkeit ablegen, dabei den Konzeptspender Audi 50 konsequent klonen und anschließend meucheln. Erst nach 1976 konnte der kleinste VW deshalb wie ein Großer neue Akzente setzten, mit sportlichem GT, Formel-E-Spritspartechnik und der Stufenheckversion Derby mit riesigem Rucksack.

Seine stilvollen und feinen Formen verdankte der Polo wie der größere Golf und andere Volkswagen einem genialen Italiener. Allerdings war es einmal nicht Giorgetto Giugiaro, sondern das Atelier von Nuccio Bertone, das den Zeichenstift führte. Schließlich wurde der Polo als Audi geboren, wobei es den Audi-50-Entwicklern aber von Anfang klar war, dass ein Ableger als Käfer-Nachfolger an den Start gehen sollte. Weshalb der Audi 50 fast von Beginn an in Wolfsburg gebaut wurde und sogar den internen Typencode 86 mit dem Polo teilte.

Zurück zur Formensprache, die bis dahin stilprägende Konkurrenten wie Fiat 127, Renault 5 oder Honda Civic schlagartig altern ließ. Bertone überließ den Zeichenstift seinem Chefdesigner Marcello Gandini, der nach vielen Lamborghini und Maserati gerade den Ferrari Dino 308 GT vorbereitete. Gandini wusste aber sehr wohl, was von Alltagsautos erwartet wurde und verzichtete deshalb beim designierten Doppel aus Audi 50 und VW Polo auf stilistische Extravaganzen. Stattdessen wählte er sachliche, zeitlos elegante Linien, deren einzige modische Akzente bunte und schrille Signallackierungen waren. Darunter leuchtendes Phönixrot, Rallyegelb oder Lofotengrün.

Anfangs allerdings war das aufpreisfreie, puristische Atlasweiß die ideale Farbe, denn die frugalen frühen Polo waren in der Ausstattung ähnlich abgemagert wie ein Formelrennwagen auf der Suche nach dem niedrigsten Kampfgewicht. Gegen die knapp 600 Kilogramm (trocken) des knausrigen Volkskämpen wirkten die meisten Konkurrenten bereits wie Schwergewichtler. Kein Wunder, verzichtete der VW doch geradezu phantasievoll auf jegliche Annehmlichkeit und sogar essentielle Sicherheitsaccessoires: Kein Chromzierrat, dafür kahle Blechflächen im Interieur und billigste Pappverkleidungen an Türen und Seitenwänden sowie Trommel- statt Scheibenbremsen. Fehlanzeige bei Gürtelreifen, Halogenlicht, Gepäckraumabdeckung, klappbarer Rücksitzbank, rechter Sonnenblende und Tankanzeige. Sogar das Gaspedal war zur armseligen Drahtschlinge abgemagert.

Als Antriebskraft mussten 29 kW/40 PS genügen, im Export waren es nur 25 kW/34 PS wie bei Renault 4 oder DAF 46. Trotz allem blieb aber genügend technische DNA vom Audi 50 übrig, um dem Volkswagen in Vergleichen mit Wettbewerbern in verschiedenen Disziplinen einen Punktvorsprung zu sichern. Dies galt auch für den günstigen Einstiegspreis von 7.550 Mark, der Importfabrikate herausforderte und auf einem Niveau mit dem 44-PS-Käfer lag.

Tatsächlich konnte der Polo den Käfer aber nicht ersetzen, dies gelang erst dem größeren Golf. Daran änderten auch rasch nachgeschobene Polo-Sondermodelle wie Jeans (eine Reminiszenz an den Jeans-Käfer) und mit dem Audi 50 nahezu identische Ausstattungslinien (ab 1976) wenig. Auch der 1977 vorgestellte Derby, ein Polo mit klassischem Stufenheck und riesigem Kofferraum, konnte nur einen Teil der vermeintlich besonders konservativen Käfer-Kunden erreichen. Stattdessen warb er den ein oder anderen Opel-Kadett- oder Ford-Escort-Fahrer ab, insgesamt aber verfehlte der Derby die zu hoch gesteckten Verkaufserwartungen von Volkswagen.

Die konnte dafür der Polo deutlich übertreffen, nachdem Wolfsburg seinem Kleinsten all die Goodies gönnte, die zuvor den Audi 50 auf einen Höhenflug geschickt hatten. Derart aufgerüstet brauchte der Polo auch alle neu hinzugekommenen Rivalen nicht zu fürchten, deren Entwicklung er nicht selten explizit inspiriert oder vorangetrieben hatte. Gleich ob Opel Kadett City (1975), Fiat 133 (1975), Volvo 66 (1975), Ford Fiesta (1976), Peugeot 104 5-türig (1976), Citroën LN (1976), Chrysler Simca Sunbeam (1977), Mitsubishi Colt (1978), Citroën Visa (1978), Toyota Starlet (1978) oder Mini Metro (1981).

Als aus dem armen Aschenputtel die glamouröse Polo-Prinzessin geworden war, konnte sich der kleine Volkswagen auch Experimente leisten, die weit in die Zukunft wiesen. Etwa die auf Effizienz getrimmte Formel-E-Spezifikation. Verbrauchsdisplay, Schaltanzeige und dadurch erzielte Verbrauchswerte, die deutlich unterhalb der DIN-Norm lagen, das war 1981 ebenso innovativ wie sensationell. Zumindest in der Theorie. Denn im Alltag wollten die Autokäufer nur sparen, wenn der Spaß nicht auf der Strecke blieb. Was bei einem Viergang-Getriebe mit extra lang übersetztem größtem Gang zwangsläufig der Fall war. Da nützte es auch nichts, dass die 50-PS-Polo und Derby mit 5,1 Liter Benzin bei Tempo 90 auskamen und damit sogar den Golf Diesel unterboten. Formel E blieb ein Ladenhüter. Dann schon lieber einen 60-PS-Polo GT mit Spoiler und anderen Sportattributen kaufen, dachten die VW-Fans. Auch wenn dieser GT um fast ein Viertel teurer war als Wettbewerber wie der Fiat 127 Sport, die obendrein in der 75-PS-Liga spielten.

Billig musste der Ur-Polo am Ende seines Lebenswegs aber ohnehin nicht mehr sein. Er war ein Maßstab seiner Klasse geworden, der durch die Ende 1981 eingeführte zweite Polo-Generation noch höher gesetzt werden sollte. Mit kombiartigem Steilheck und kleinem Coupé schrieb der komplett erneuerte Polo ein frisches Kapitel Kleinwagengeschichte. Und verdrängte so allmählich den Vorgänger aus dem Straßenbild, zumal es diesem lange Zeit an effektiver Korrosionsvorsorge mangelte. Heute braucht es bereits viel Glück, einen der rund 300 überlebenden Polo-Pioniere zu sichten.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel/SP-X
Foto: Volkswagen/SP-X

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