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Die Revolution ging einmal mehr von Frankreich aus und kam doch von gänzlich unerwarteter Seite. Nicht Citroën oder Renault, sondern die seit Kriegsende auf klassische und konservative Familienmodelle konzentrierte Marke Peugeot präsentierte 1965 einen für Paris tauglichen Kompaktwagen zukunftsweisender Konzeption. Tatsächlich maß der designierte Volksheld des Typs 204 nur 3,97 Meter und wirkte dabei ebenso wagemutig wie die Aktivisten der bevorstehenden Studentenunruhen. Während der akademische Nachwuchs gesellschaftliche Veränderungen beschwor, brachte das automobile Baby der Löwenmarke Bewegung in die Kompaktwagenszene. Hatte es doch noch nie einen kleinen Peugeot so avantgardistischer Prägung gegeben. Der 204 überraschte mit einem Füllhorn an Innovationen, die letztlich alle europäischen Volksautohersteller inspirierten, dem französischen Vorbild zu folgen. In der Zwischenzeit setzte sich der in 1,6 Millionen Einheiten gebaute Peugeot 204 erst einmal an die Spitze der französischen Verkaufscharts.

Frontantrieb mit raumsparenden Quermotoren, das fand sich vor dem Marktstart des Peugeot 204 in der Kompaktklasse nur bei den Engländern des legendären Mini-Erfinders Alec Issigonis. Nicht aber in Kombination mit drehfreudigen Leichtmetall-Benzinern und dem kleinsten Diesel der Welt. Ein Selbstzünder, der dem Peugeot 204 den Rang eines Spar-Weltmeisters einbrachte, der erst ein Jahrzehnt später durch den VW Golf Diesel entthront werden sollte. Reif für Fortschritt à la française hielt der Peugeot 204 aber nicht nur die Antriebe, sondern auch die Karosserieformen. Zwar blieb die Limousine beim klassischen Stufenheck, neu in ihrer Art waren dafür der kompakte viertürige Frontantriebs-Break und die schicken Fourgonnette-Lieferwagen. Diese innovativen Kombis ließen die gesamte Konkurrenz von Fiat 1100 bis VW Variant schlagartig alt aussehen. Allein der Ford 12 M verfügte ebenfalls über angetriebene Vorderräder, begnügte sich aber mit nur zwei Türen und ansonsten eher althergebrachter Technik.

Dagegen deklassierte das von Pininfarina extravagant gezeichnete Peugeot 204 Cabriolet laut Presse die englischen Zweisitzer-Konkurrenten Austin Sprite und MG Midget zu antiquierten „Museumsstücken“. Noch aufregendere Couture kleidete nur das Coupé des 204-Programms, ein zweitüriger Shooting-Brake mit großer Heckklappe. Vergleichbares hatte die Automobilwelt in diesem Format noch nicht gesehen. Auf Automobilsalons avancierte der schöne Chic aus Sochaux zum Publikumsliebling. Das von Peugeot-Hausdesigner Paul Bouvet formvollendet gezeichnete 204 Coupé, das den Stil späterer Sport-Kombis vorwegnahm, wurde deshalb sogar mit dem höchsten Designpreis, dem Grand Prix de l’Art et de l’Industrie prämiert. 1970 übernahm der Peugeot 304 dieses Coupé-Konzept fast unverändert in die Mittelklasse, wo es dann fünf Jahre später Modestandard wurde. Ford Capri II, VW Scirocco, Fiat 128 Berlinetta, Toyota Celica Liftback oder Opel Manta CC, am Ende folgten alle den Spuren des Vorreiters Peugeot 204 Coupé. Sicher, auch dieser Avantgardist hatte bereits einen britischen Weggefährten, allerdings spielte der MG B GT in einer höheren Klasse.

Anders war es mit allen kleinen Engländern der Frischluftfraktion. Sie mussten sich dem vom Turiner Stardesigner Pininfarina konturierten Peugeot 204 Cabrio in der Alltagstauglichkeit klar geschlagen geben – allein am knorrigen Charakter und der beispiellosen Tradition der angelsächsischen Roadster fehlte es dem Franzosen in italienischer Form. Ebenso drastisch zeigte der Peugeot den konservativen Heckmotorkonstruktionen á la Renault Caravelle Sportcabrio, Fiat 850 Spider oder VW Karmann Ghia, wer neuer kleiner Sonnenkönig werden wollte. Tatsächlich konnte Peugeot bis 1970 immerhin über 18.000 offene 204 ausliefern, hinzu kamen bis 1975 knapp 19.000 Einheiten der Weiterentwicklung Peugeot 304. Wichtigste Exportkunden beider Cabrios waren übrigens sonnenhungrige Deutsche, die an den Galliern vor allem deren Zuverlässigkeit und die Formgebung mit einem Hauch Glamour schätzten. Schließlich war es die Pininfarina-Studie Cadillac „Jacqueline“ (Kennedy) gewesen, die als inspirierende Muse für den 204 fungiert hatte. Ein Concept Car, durch das Peugeot eine vollkommen neue, eigenständige Linie fand, den „style maison“, der sich in Details sogar noch in der heutigen Modellpalette spiegelt.

Entscheidender Erfolg des formal wie technisch gleichermaßen anspruchsvollen Einstiegsmodells in die Peugeot-Palette war jedoch die Eroberung der Kompaktklasse, die er auf seinem Heimatmarkt Ende der 1960er-Jahre dominierte. Nebenbei übernahm der Produktionsmillionär die Rolle des genialen Impulsgebers für den Wettbewerb, der dem Trend zu Frontantrieb und großem Interieur bei kleinen Exterieurmaßen folgte. Tatsächlich bot bereits der Peugeot 204 seinen Passagieren in der ersten Reihe ähnlich viel Bewegungsfreiheit wie das äußerlich deutliche stattlichere Flaggschiff 404. Ganz besonders schnell handelten übrigens Simca, Renault und Fiat, die mit den Modellen 1100, R12 und 128 in den folgenden vier Jahren Anschluss an die bereits 1960 von Roland Peugeot initiierte 204-Reihe fanden.

Lange Zeit scheinbar uneinholbar weit in der Zukunft fuhr dagegen der 1,2-Liter-Aluminium-Diesel im 204, der sensationelle Höchstdrehzahlen von 5.000/min entwickelte. Zunächst gab es den 29 kW/40 PS leistenden Vierzylinder im Break, etwas später auch in der Limousine. Flott waren die Diesel-Käufer damit zwar noch immer nicht unterwegs – von null auf 100 km/h genehmigte sich der Gallier endlose 38 Sekunden! – aber billiger als mit jedem anderen Auto, wie die Fachpresse ermittelte. Demnach lagen die Kraftstoffkosten pro 100 Kilometer für einen ausgewachsenen 204 Diesel sogar unter den Benzinkosten für ein winziges Goggomobil 250. Noch in ihrem letzten Produktionsjahr attestierten deutsche Journalisten der 204 Limousine Verbrauchswerte von weniger als vier Liter, was den kleinsten Diesel-Pkw der Welt zum Weltmeister der Spritsparer machte. Der nun übrigens dank fünf zusätzlicher Pferdestärken auch etwas schneller war. Als der Peugeot 204 Diesel im Jahr 1976 in den Ruhestand ging, fand er seinen ersten Nachahmer und zugleich brillanten Nachfolger im Volkswagen Golf. Der Wolfsburger machte den Selbstzünder nun endgültig gesellschaftsfähig und zum Millionenerfolg.

Allerdings versäumte es Peugeot für seine geniale Kompaktklasse einen Nachfolger zu entwickeln. Der 204 entschwand nach elf Produktionsjahren aus den Preislisten und die treuen Peugeot-Kunden mussten sich fortan entscheiden zwischen dem kleineren Typ 104 oder dem größeren 304. Erst als die Löwenmarke 1982 kurz vor dem finanziellen Kollaps stand – bewirkt durch die Übernahmen von Citroën und die Chrysler-Europa-Marken – korrigierten die Franzosen ihre Modellpolitik: Der Peugeot 205 wurde später Nachfolger des 204 und damit nun zum Retter des ganzen Konzerns.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Peugeot/SP-X

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