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Das Rad gehört schon seit vielen tausend Jahren zum Alltag der Menschheit. Wann genau es erfunden wurde, lässt sich nicht genau bestimmen, es kann aber als Hilfsmittel zur Fortbewegung und Transportaufgaben ab ca. 4.000 vor Christus nachgewiesen werden. Seit dem hat es schon einige Entwicklungsstadien durchlaufen: Von Stein zu Holz und vom Voll- zum Speichenrad waren sicherlich die wichtigsten Fortschritte, diese liegen allerdings auch schön länger zurück. Detailverbesserungen gab es zwar bei der Materialwahl wie zum Beispiel metallbeschlagene Räder, der Fahrkomfort blieb aber eher holprig und der Rollwiderstand eher hoch. Erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts kamen neue Errungenschaften zum Tragen, die die Mobilität der Menschheit entscheidend verändern sollten.

Die Industrialisierung sowie das Aufkommen der Eisenbahn machten robustere Räder erforderlich, die in der Lage waren, große Lasten zu tragen. Neue Produktionsverfahren zur Stahlherstellung brachten hier den Durchbruch. Der Individualverkehr mittels Pferdekutschen oder Karren blieb derweil von Radverbesserungen weitgehend unberührt, zu schlecht waren die meisten Wege und Straßen als dass man signifikante Fortschritte bei Komfort oder Lasttauglichkeit hätte machen können. So geriet dann auch eine wichtige Erfindung in Vergessenheit, die dem Schotten Robert Thomson gelang und die er sich 1845 patentieren ließ: ein mit Luft gefüllter Gummireifen. Thomson kannte sogar das erst sechs Jahre zuvor vom Amerikaner Charles Goodyear entwickelte Verfahren, bei dem Kautschuk durch Vulkanisation, also mittels Wärme, Druck sowie durch Einsatz von Schwefel, zu strapazierfähigen und elastischen Gummi wird. Bis dato hatte man mit dem Saft der Kautschukbäume in Europa und in den USA noch wenig anfangen können, da die daraus hergestellten Produkte bei großer Hitze klebrig und bei Kälte spröde wurde.

Bis Kautschuk im großen Stil bei der Reifenproduktion zum Einsatz kam, dauerte es noch ein wenig. Der erste Motorwagen von Carl Benz von 1886 lief beispielsweise noch auf eisenbeschlagenen Holzrädern. Immerhin gab es schon erste Reifen für Fahrräder sowie Dreiräder für Kinder aus Vollgummi. Diese waren zwar robust, was bei der damals noch immer üblichen schlechten Straßenbeschaffenheit ein großer Vorteil war, aber ihr Rollwiderstand war alles andere als überzeugend. Man musste sich schon ganz schön quälen, wollte man vorankommen.

So erging es auch im Februar 1888 dem jungen Johnny Boyd mit seinem Dreirad. Und er machte das, was Kindern in solchen Fällen gerne tun, er beschwerte sich bei seinem Vater darüber. Es ist leider nichts darüber bekannt, wie intensiv er mit seinem Klagen nervte, Fakt ist aber, dass der Erziehungsberechtigte, ein Tierarzt aus Belfast, zur Schere und Kleber griff. Aus einer dünnen Gummimatte bastelte John Boyd Dunlop einen Schlauch, zog ihn auf eine Holzscheibe, bedeckte ihn mit einem Leinenstreifen, nahm als Ventil einen Schnuller und pumpte ihn mit einer Fußballpumpe auf. Noch zweimal stellte er sein handwerkliches Talent unter Beweis. Am 28.2.1888 war die Arbeit erledigt. Das so getunte Dreirad begeisterte den Junior, der Dunlop-Firmenlegende nach fuhr er die ganze Nacht mit ihm herum. Zumindest dürften die Abrollgeräusche deutliche leiser gewesen sein als mit den Rädern aus Vollgummi und sich so die nächtliche Lärmbelästigungen in Grenzen gehalten haben. Wichtiger als der sinkende Geräuschpegel war aber sicherlich, dass die Luftreifen trotz der steinigen Wege nicht kaputt gingen. Am 23. Juli meldete Dunlop seinen Luftreifen zum Patent an und entwickelte seine Erfindung weiter.

Sein Augenmerk galt zunächst nicht den neuen, motorbetriebenen Kutschen, sondern er verfeinerte sein Patent für Fahrradreifen. So kam als Abdeckung des Luftpolsters nun Segeltuch zum Einsatz, das zwischen den Speichen befestigt wurde. Das sah recht eigenartig aus und verhalf dem Reifen zu seinem Spitznamen „Mummy Tyre“ (Mumienreifen). Doch die Wickeltechnik erwies sich als sehr erfolgreich. Schon früh erkannte Dunlop die Werbewirksamkeit von Radsportwettbewerben. Ein eher nur mittelmäßiger Radfahrer, William Hume, gewann 1889 auf Dunlop-Luftreifen seine Rennen, auch wenn die Konkurrenz ihn früher weit abhängen konnte. Fast gleichzeitig gründete Dunlop im selben Jahr in Dublin eine Firma zur Produktion von Fahrradreifen. Das Patent von Bartlett – Stahlseilreifen mit Tiefbettfelge und Klemmbackenreifen – vereinfachte die Montage und Demontage der Pneus erheblich.

Auf die Idee, Luft auch in Autoreifen zu packen, kam jedoch jemand anderes. Die französischen Brüder André und Édouard Michelin, die 1889 einen ziemlich maroden kautschukverarbeitenden Betrieb übernommen hatten, entwickelten zunächst einen austauschbaren Luftschlauch für Fahrradreifen. Reifenreparaturen konnten so schnell erledigt werden. In der Folge adaptierten sie diese Erfindung für Autoreifen. 1895 nehmen die Brüder an dem Autorennen Paris – Bordeaux – Paris teil. Ihr Fahrzeug mit Luftreifen kam trotz vieler Reifenpannen an Ziel und bewies so, die Alltagstauglichkeit der neuen Technik.

Der Siegeszug der Luftreifen für Automobile war nicht mehr aufzuhalten. Die Entwicklung der Reifen sowie der Autos beeinflussten sich gegenseitig. Bereits 1899 gelang es dem Belgier Camille Jenatzy mit einem Elektrofahrzeug und speziellen Michelin-Pneus die Geschwindigkeitsgrenze von 100 km/h zu überschreiten. Weitere Unternehmen wie Continental (1899) oder Dunlop (1900) begannen mit der Autoreifenproduktion. Jetzt wo die Luft schon einmal im Reifen drinnen war, galt es, sie besser zu halten und den Pneu haltbarer zumachen. Unzählige Patente tragen in den direkten Folgejahren dazu bei, ihn zu verbessern.

Neue Materialien wie Cordgewebe, Kunstseide oder synthetischer Kautschuk kommen peu à peu zum Einsatz. Schon bald rückte auch der Sicherheitsgedanke in den Vordergrund. Querrillen auf der Lauffläche sorgten für mehr Haftung. Bereits 1904 brachte Conti den ersten Profilreifen auf den Markt. Ruß machte die Reifen haltbarer (und schwarz). Eine abnehmbare Felge ermöglichte, ein aufgepumptes Reserverad mitzunehmen. Den ersten Stahl-Wulstreifen für Pkw stellte Dunlop 1921 her. Die ab Anfang der 20er Jahre erhältlichen Niederdruckreifen von Michelin ließen sich mit einem geringeren Luftdruck (2,5 bar) fahren, statt der üblichen und sehr unkomfortablen Werte zwischen 4,5 und 8 bar. Die Haltbarkeit der Pneus stieg damit ebenfalls. Mussten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Reifen oftmals schon nach 500 Kilometer Fahrleistung in die Werkstatt, stieg die Laufleistung nun auf 15.000 Kilometer und mehr. Das trug natürlich dazu bei, die Unterhaltskosten deutlich zu senken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Reifenentwicklung rasant weiter. Die Reifen wurden immer stabiler, sicherer und leiser. 1960 entdeckten die Dunlop-Ingenieure den Aquaplaning-Effekt. Mit neuen Profilgestaltungen, die erheblich effizienter Wasser aus der Aufstandsfläche ableiten und somit der Bildung des gefährlichen Wasserkeils vorbeugen konnten, wurde die Gefahr des Aufschwimmens des Reifens auf Wasser vermindert. Als weitere, wenn auch nur wenige stichpunktartige Meilensteine der Reifenentwicklung seien genannt: schlauchlose Reifen, Stahlgürtel– und Textilgürtelreifen, Winter-, Regen-, Ganzjahres-, Notlauf-, Hochgeschwindigkeits- und verbrauchsoptimierte Reifen mit geringem Rollwiderstand. Die Vernetzung der Pneus mit Sicherheitssysteme wie ABS, ESP und Reifenluftdruckkontrollsystemen ist heute selbstverständlich.

Reifen sind längst hoch spezialisierte Hightech-Produkte, die für jedes Fahrzeug, jede Geschwindigkeit oder Einsatzvorgabe das passende Pendant bieten. Über 50 verschiedene Kriterien werden heute bei der Entwicklung berücksichtigt. Auch bei modernen Pneus gehört neben der runden Form, die sich ja bekanntlich bewährt hat, die Luft immer noch zu den wichtigen Bestandteilen des Reifens. Mit Gas gefüllte Pneus oder Konstruktionen, die ganz ohne Luft auskommen, haben sich noch nicht durchgesetzt. Wenn auch erst seit 125 Jahren spielt die Luft weiterhin eine tragende Rolle.

Text: Spot Press Services/Elfriede Munsch
Fotos: Continental, Dunlop, Michelin, SP-X

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