DDR-Straßenbild: Grau mit bunten Flecken

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Als Autofan in der DDR aufzuwachsen, muss Verzicht pur gewesen sein. Ohnehin war der Motorisierungsgrad deutlich geringer als in der Bundesrepublik: Während dort statistisch jeder zweite Einwohner ein Fahrzeug besaß, kamen im Osten gerade einmal 3,7 Millionen Personenwagen auf fast 17 Millionen Bürger. Und dass es in der Spitze über 15 Jahre dauerte, bis der gehassliebte Trabant ausgeliefert wurde, ist schließlich bekannt. Doch nicht nur der oder der kaum weniger geliebte Wartburg waren auf den Parkplätzen der DDR anzutreffen; einerseits war dem Regime daran gelegen, die Verfügbarkeit von Autos zu steigern – und andererseits konnte es nicht sein, dass hochrangige Politfunktionäre sowie deren verlängerte Arme aus der Wirtschaft im Trabbi über Asphalt zuckelten.

Weniger wichtige Staatsdiener oder Menschen mit Beziehungen konnten Anfang der Siebziger beispielsweise auf den Moskwitsch 412 zurückgreifen. Die brüderlich verbundene Sowjetunion half gerne aus, um die DDR mobil zu halten. Der eher zierliche Heckflossen-Viertürer hat seine Eigner immerhin vom Zweitakter-Schicksal verschont und mehr noch: Die 412er verfügten über einen verhältnismäßig modernen Vierzylinder mit 1,5 Litern Hubraum, Alukopf sowie halbkugelförmigen Brennräumen (auch bekannt von Chryslers Hemi-Modellen). Die 80-PS-Ostler waren in puncto Antrieb durchaus auf Augenhöhe mit Westprodukten und rannten problemlos 150 km/h. Ihnen waren sogar Erfolge im Rallye-Sport beschieden, und durch den Import nach Europa konnten sich auch Menschen von deren Fähigkeiten überzeugen, die niemals einen Fuß über die Schwelle zum frostigen Osten gesetzt hätten.

Auch Škoda war zu sozialistischen Zeiten in Westeuropa zu haben – und auch in der DDR. Dort umfasste das Programm je nach Epoche Octavia, 1000 MB, die Serie 100 sowie die Modellreihen 105 bis 130. Diese tschechischen Offerten waren keine schlechte Wahl und den heimischen Produkten ohne Frage weit überlegen – doch der süßen Verlockung, so ein Auto anzuschaffen, wohnte auch der bittere Beigeschmack möglicher Folgen bei: Im Falle eines Schadens war es kostspielig und auch logistisch schwierig, an Ersatzteile zu kommen. Diese Situation dürfte sich kaum verbessert haben, wenn man einen Westler fuhr. Dennoch haben eine ganze Reihe von Modellen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und auch Schweden den Weg in die DDR gefunden.

Berühmt ist das Kontingent von 10.000 Golf 1, das die DDR im Jahr 1977 bestellt und an „normale“ Kunden ausgeliefert hat. Der Golf ist mehr als viermal so teuer wie der Trabbi und mischt das triste Einheitsgrau des Straßenbildes mit blau, braun und rot auf. Auch der Import des Fiat Uno begeisterte hiesige Motorjournalisten seinerzeit, die vorwiegend – ebenso wie die Bürger – langweilige Trabanten in den Redaktionen hielten.

Doch es gab auch Exoten aus dem eigenen Land. Dazu zählten ganz sicher die Sportler Melkus RS1000. Mit einem auf 51 kW/70 PS gesteigerten Wartburg-Zweitakter waren die flachen Flundern sicher eher zahnlose Tiger, aber dennoch sensationell für die Verhältnisse im sozialistischen Deutschland. Bis zu 165 km/h schnell konnte der Zweitürer werden und die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der DDR damit weit übertreffen.

Bevorzugte und Bessergestellte konnten übrigens auch Sechszylinder fahren. Ein Sonderkontingent an Volvo 264 machte es bestimmten Personenkreisen möglich. Damit war man oben angekommen – noch nobler unterwegs zu sein in der DDR, grenzte an Unmöglichkeit, wenngleich Einzelfälle dokumentiert sind. So liefen gar Mercedes W116 und Porsche 911 Turbo jenseits des eisernen Vorhangs, eigentlich verpönt als Teufelszeug des kapitalistischen Monsters.

Dann schon eher V8 fahren mit Tatra und Tschaika. Der tschechische Tatra 603 konnte nach Aussortierung in Staatsbetrieben in die Hände von DDR-Bürgern kommen und war dort zu Vor-Wendezeiten vermutlich fast so exotisch wie er heute im restaurierten Osten ist als Fan-Objekt oldtimerverliebter Ostalgiker. Mit einem luftgekühlten Achtzylinder im Heck und vernehmlichem Bollern dürfte er für Aufmerksamkeit gesorgt haben.

Auf dünnem Eis bewegte man sich womöglich im Tschaika. Der eigentlich als sowjetische Staatslimousine vorgesehene Luxusliner sah amerikanischen Straßenkreuzern zum Verwechseln ähnlich und bot auch unter der Haube ein ansehnliches Bild. Hubräume von mehr als sechs Litern aus acht Zylindern befeuerten die teils über 6 Meter langen Gefährte, die ihrerseits jeden erdenklichen Luxus boten von banalen Dingen wie Servolenkung bis zum TV-Gerät. Privatkunden in der DDR konnten die ausladenden Ami-Kopien als Gebrauchtwagen erwerben und mussten sich der Gefahr potenzieller Beschimpfungen linientreuer Genossen bewusst sein.

Doch die Wahrscheinlichkeit, ein solches Auto auf öffentlichen Parkplätzen zu treffen, war wohl verschwindend. Dafür tummelten sich eine Menge weiterer (aus heutiger Sicht bodenständiger) Fahrzeuge zwischen den einschlägigen Ost-Modellen. Dazu zählten Citroën BX und GSA, Dacia 1300 (Renault 12-Lizenzbau), Fiat 131 sowie Panda, Mazda 323, Peugeot 305 und diverse Saporoshez- wie Zastava-Ausgaben. Damit war immerhin für ein bisschen Farbe im grauen DDR-Autoalltag gesorgt.

Text: Spot Press Services
Fotos: Archiv Autodrom, Werkfoto

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