Jaguar: Balsam für die britische Seele

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Wenn irgendwo auf der Welt ein großer Autokonzern ein neues Motorenwerk baut, ist das an sich nichts Besonderes. Außer, wenn eine leibhaftige Königin die feierliche Eröffnung vornimmt. Queen Elisabeth war sichtbar „amused“, bedachte von ihrem Ehrenplatz aus die sie umringenden Mitarbeiter in Werksuniform mit majestätischen Lächeln und lauschte den Worten des Festredners. Schließlich sind Jaguar und Land Rover nicht irgendwelche Autos, sondern fast schon britisches Kulturgut, ein Stück Industriegeschichte und Englands Botschafter auf den Straßen der Welt. Und einziger Autohersteller, der sich mit dem Titel „königlicher Hoflieferant“ schmücken darf.

Der Besuch der adeligen Familie – auch Prinz-Gemahl Philip war angereist – ist Balsam auf die arg strapazierte britische Auto-Seele. Nach einem halben Jahrhundert Dominanz englischer Marken folgten ab den 60er-Jahren nur noch Pleiten, Pech und Pannen. Die überlebenden Ikonen wurden schließlich in alle Welt verkauft: Rolls Royce und Mini an BMW. Bentley an Volkswagen, Rover nach China und Jaguar samt der Geländewagen-Schwester Land Rover zunächst an Ford und dann an den indischen Tata-Konzern.

Der Erfolg kam unter fremden Federn zurück auf die Insel. Jaguar und Land Rover verfünffachten in den letzten fünf Jahren ihre Verkäufe, werden gemeinsam wohl in diesem Jahr die Grenze von 500.000 gebauten Autos schrammen. Nur eines fehlte noch: Die Herzen der erfolgreichen Modelle sind zwar zumeist eine Entwicklung der Jaguar-Ingenieure, werden immer noch vom früheren Eigentümer Ford gebaut. „Das war eine sehr gute Zusammenarbeit“, sagt Produktionsvorstand Wolfgang Stadler, der von BMW nach England gewechselt war. „Aber wenn wir unsere Wachstumsziele erreichen wollen, müssen wir auch die Motoren in Eigenregie produzieren“. Das ist also der Grund für die 634-Millionen-Euro-Investition in Wolverhampton bei Birmingham. Erstmals seit Jahrzehnten macht Jaguar seine Motoren wieder selbst. Alle 42 Sekunden wird ein Vierzylinder-Triebwerk das Fließband verlassen, gebaut von zahllosen Robotern und 1.400 neu eingestellten Mitarbeitern.

Für England hat das neue Werk eine weitere Bedeutung, die wohl auch Elisabeth II. im Sinn hatte. Immer weniger Industrieprodukte werden auf der Insel gefertigt. Das Land, in dem im 19. Jahrhundert die industrielle Revolution ihren Ausgang nahm, verlegte sich mehr und mehr auf Dienstleistung und Finanzwesen, nahm damit eine hohe Arbeitslosigkeit in Kauf. Das Engagement von Jaguar ist nun seit langer Zeit die erste große Investition in eine Produktionsstätte, die viele Menschen beschäftigt. „Das Motorenwerk steht für all das, was an britischer Ingenieurskunst großartig ist“, sagt Vorstandschef Ralph Speth, ebenfalls ein Deutscher. Er präsentierte der Königin die beiden Modelle, mit denen die Verkaufszahlen seine beiden Marken einen Sprung nach oben machen sollen. Auto-Fan Prinz Philip ging sogar ein wenig in die Hocke, um das Innenleben der blankgeputzten Exponate ins Visier zu nehmen.

Die Mittelklasse-Limousine Jaguar XE tritt gegen die Platzhirsche Mercedes C-Klasse oder 3er-BMW an, ist trotz der Schrumpfkur ein waschechter Jaguar. Für den Platz unter der Haube stehen nur Vierzylinder-Motoren zur Wahl. Die Diesel-Versionen leisten 163 bzw. 180 PS, verbrauchen laut Norm nur rund vier Liter auf 100 Kilometer. Die 200 oder 240 PS starken Benziner kommen mit 7,5 Litern aus.

Der Wiederaufstieg von Jaguar ist ein kleines Wunder: Denn mehrmals drohte in der Vergangenheit der Gang zum Insolvenzgericht. Erst der Einstieg durch den indischen Riesenkonzern Tata brachte die Wende. Die neuen Modelle sind allesamt ein Erfolg, spülen viel Geld in die Kassen im fernen Mumbai. Doch die Asiaten pumpen die Gewinne zurück nach Europa. Kein Wunder also, dass Ratan Tata, der Ur-Enkel des Firmengründers, bei der Eröffnung des Motorenwerks neben der Königin der früheren Kolonialmacht auf dem Podium saß. Der bald 77-jährige Milliardär beobachtete mit wachen Augen, wie Ihre Majestät die Gedenktafel enthüllte, auf der ihre Rolle als Premierengast verewigt ist. Das leicht verschmitzte Zucken der Mundwinkel sollte wohl sagen: „Ohne uns wäre das hier alles wohl nichts geworden“.

Nach 14 Minuten endete der Besuch der Royals. Die waren übrigens nicht in einem ihrer Jaguars oder Range Rover angereist. Um den täglichen Staus zu entgehen, nahmen die Königin und ihr Gefolge lieber den Zug.

Text: Spot Press Services/Peter Maahn
Fotos: Press Association/SP-X

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