Der Winterreifen wird 80

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Wer heute im Winter unterwegs ist, verlangt von seinen Reifen nicht nur Grip im Matsch und auf Schnee oder Eis, sondern auch gute Wasserableitung, Schutz vor Aquaplaning, genaues Handling, niedriges Abrollgeräusch, Hochgeschwindigkeitsfestigkeit und vor allem kurze Bremswege.

Für die Reifenentwickler war deshalb eine Vielzahl von Zielkonflikten zu managen, seit vor genau 80 Jahren in Finnland der erste Winterreifen auf den Markt kam.
Der erste spezielle Winterreifen der Welt wurde von Nokian entwickelt, produziert und mit der Bezeichnung „Kelirengas“ (finnisch: “Wetterreifen“) ab 1934 für Omnibusse und Lastwagen angeboten. Ein grobstolliges Profil bot starke Traktion und Nutzfahrzeuge meisterten damit verschneite Straßen, ohne dass vor Steigungen umständlich Schneeketten montiert werden mussten. Für Personenwagen und speziell für nordische Bedingungen folgte 1936 der Nokian Hakkapeliitta. Er hatte ein dünnes, querlaufendes Profil mit Griffecken für starken Biss bei Schnee und Matsch. Saugnäpfe im Profil verhinderten ein Wegrutschen auf Eis. In Mitteleuropa war zwar 1934 der „Continental Type Aero Gelände“ bereits für hohe Schneelagen konzipiert – ging aber nicht in Serie. Semperit brachte jedoch 1936 mit dem „Goliath“ einen Reifen auf den Markt, der anfangs noch als „Reifen für wegloses Gelände und für alle Jahreszeiten“ bezeichnet wurde. Bald stellte man in der Werbung das S-förmige Profil in der Mitte der Lauffläche und die groben Stollen an den Kanten als „gut geeignet für Schnee und besser als umständlich zu montierende Gleitschutzketten“ heraus. In fünf Dimensionen war dieser Reifen verfügbar und so erfolgreich, dass er bis Ende der 40er Jahre produziert wurde.

Griffige Profile hatten vor und während dem Krieg aber nur Geländereifen für das Militär, wie sie dann von der Bundeswehr noch als M-Profil gefahren wurden. Auch das Anbringen von Schlitzen in der Lauffläche, den Vorläufern der heutigen Lamellen, wurde noch als „Sommern“ bezeichnet und sollte eher ein sicheres Fahren auf glattem Asphalt oder Basalt-Pflaster ermöglichen – auf Eis und Schnee verwendete man notfalls Gleitschutzketten.

Der von Michelin 1946 patentierte Radialreifen brachte dann die heute übliche Gürtelreifen-Technologie und legte als erster Ganzjahresreifen die Basis für alle modernen Winterpneus. Der Prototyp des Michelin-Radialreifens wurde wegen seiner Flankenstruktur hausintern „Fliegenkäfig“ genannt und zeigte schon weitgehend das Profil des ab 1951 erhältlichen Serienreifens Michelin X. Mit Unterbrechungen der beiden Zick-Zack-Mittelstege und wellenförmigen Lamellen in den seitlichen Profilblöcken war er bis in die 60er Jahre auch ohne M-S-Kennzeichnung nicht nur als „Winterreifen“ anerkannt, sondern auch hervorragend geeignet.

Bei Semperit begann 1952 die Zeit des M&S-Reifen (Matsch und Schnee) und der war dann ein Jahrzehnt lang der meist gefahrene Winterreifen Europas. Der erste Continental M+S 14 wurde ab 1952 noch als „Schneeprofil“ bezeichnet: Unterschiedlich breite Stollen in vier Reihen, wenige U-förmige Lamellen innerhalb der äußeren Profilblöcke und breite Querrillen waren kennzeichnend. Öffentlichkeits-wirksam fuhr man beim ersten offiziellen Winterreifen-Test von Continental 1953 in der Schweiz ohne Probleme über den 2.112 Meter hohen St. Gotthardpass. Alle sieben Testfahrzeuge waren „mit mindestens zwei Pneus Continental M+S bereift“ und ein Notar bestätigte „auf eisbedeckter Straße mehrere scharfe Bremsproben, die ausgezeichnet ausfielen“. Rein für ein Werbefoto ging es zehn Jahre später sogar mit einer bespikten Variante des Continental M+S 18 zum Spaß „absolut spurtreu“ über eine Natur-Eisbahn.

Text: Karl Seiler
Fotos: Archiv Seiler

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