Buchtipp – Scheller/Schwinghammer: Anything Grows

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Er soll schon Beziehungen torpediert haben, als die erst noch zart wachsende Pflänzchen waren – weil die Dame des Herzens ihn in keiner Form leiden mochte. Er hat vielleicht auch schon Menschen zur Verzweiflung gebracht, die ihn gerne gehabt hätten, von der Natur aber die Anlage dazu nicht mitbekamen. Fakt ist, dass man ihm täglich begegnet, ohne groß über ihn nachzudenken. Die Rede ist vom – Bart.

Mal abgesehen von der Formenvielfalt, ist er weit mehr als eine Zierde im Gesicht, die regelmäßig in Form gehalten werden muss. In 15 Essays spüren Autoren dem Bart im Sinne einer Kulturgeschichte nach, werden in Bartclubs ebenso fündig wie in Theologie und Musik. Und natürlich ist das Tragen eines Bartes im Sinne einer jeweils angesagten Form eine Mode wie viele andere auch. Mal in, mal out.

Die Erkenntnisse sind bisweilen verblüffend: Manager mit Schnauzbart sollen tendenziell erfolgreicher sein als die Kollegen ohne. Ein Dreitagebart kann freizeitmäßig attraktiv sein, im Business gilt glatte Rasur gleichsam als seriöser. Und dass eine wildwachsende Pracht Unangepasstheit symbolisiert, ist sicher in vielen Fällen keine Fehlinterpretation. Ein beeindruckendes Foto der Beatles legt den Schluss nahe – gegen Ende der Karriere, als die Musik komplexer und die Texte kritischer wurden, waren aus den Pilzköpfen unversehens etwas zottelig wirkende junge Musiker geworden.

Wer über den Bart und seine Traditionen philosophiert, darf ein unangenehmes Kapitel nicht auslassen – die Haarpracht im Kinnbereich als Störenfried, wenn Frauen betroffen sind. Sicher gibt es anno 2014 Mittel zur Abhife – wenn man sich aber im Buch die Werbeanzeige für einen elektrischen Haarzerstörer aus den Zwanzigern ansieht – dann ahnt man, wie brachial gegen etwas eigentlich Harmloses vorgegangen wurde.

Jörg Scheller/Alexander Schwinghammer (Hg): Anything Grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes. Franz Steiner Verlag; 29,90 Euro.

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