Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Zum Berufsbild eines Journalisten, der die Welt mit Informationen und Gedanken über die Mobilität im Allgemeinen und über das Auto im Besonderen versorgt, gehört mitunter auch die Benutzung eines Verkehrsmittels, das seinen Siegeszug für das soziale Gemeinwohl schon ein paar Jahre vor dem Automobil angetreten hat: der Zug nämlich. Nein, Sie müssen jetzt nicht befürchten, dass ich (mal wieder?) über die Unpünktlichkeit und die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn herziehe und diese in Grund und Boden verdamme.
Und dennoch hat mir das Warten auf einen Zug in dieser Woche ein paar ebenso zunächst irritierende wie mich später nachdenklich stimmende Momente beschert. Etwas zu früh am Bahnhof angekommen, wartete ich etwa 15 Minuten auf den Zug, der – um es vorweg zu nehmen – später auch pünktlich auf die Minute eintraf. Mit dem gleichen öden Zeitvertreib wie ich, dem Warten auf den Zug also, beschäftigte sich auch notgedrungen eine Schar junger Menschen weiblichen und männlichen Geschlechtes auf dem Bahnsteig.

Derlei Engpässe der Zeitökonomie lassen sich ja – Samsung, Telekom und Co. sei Dank – mittlerweile mit dem Versinken in die vielfältigen Möglichkeiten eines Smartphones kompensieren. Was kann man da nicht alles erleben: Smsen, mailen, checken, googlen, surfen, twittern und allerlei andere nützliche Dinge der modernen Alltagsbewältigung lassen sich da gesenkten Hauptes mit angestrengtem Mienenspiel und höchster Fingerfertigkeit vortrefflich erledigen. Auf dass sich bloß niemand der fortwährenden digitalen Kommunikation und Verselbstständigung der Informationen mit seiner Umwelt entziehe. Egal, wie nah oder fern diese nun auch sein möge.

Doch siehe da: Es gab einen jungen Mann im Kreise der vor sich hin tippenden Altersgenossen, der die Stirn besaß und sich dem permanenten Mitteilungsdrang widersetzte und seine Individualität auf geradezu schamlose Art und Weise pflegte: Er las ein Buch! Und befand es dabei nicht einmal für nötig, seinen Kopf mit jenen Gummipfropfähnlichen Beschallungs-Vorrichtungen zu bedecken, die man bei unseren Herren Nationalspielern immer sieht, wenn sie – die mentale Versunkenheit in Person – aus dem Bus steigen und damit signalisieren wollen: „Hey, kein Mikrofon bitte. Ich hätte gerne meine Ruhe.“
Um das Maß der individuellen Unverfrorenheit voll zu machen, schaute der junge Mann auch noch interessiert in ein gegenüber liegendes Baumgeäst, aus dem höchst auf- und anregendes Vogelgeplapper herüber schallte. Drossel? – Meise? – Fink? Egal, aber offensichtlich das natürliche Ergebnis einer Youtube-freien Akustik. Gab es einfach so zum hinhören. Ohne Download-Button und nicht mal aus dem iTunes-Store.

Kurz darauf traf der Zug ein. Die jungen Leute machten sich auf Richtung Abteil. Einige von ihnen noch auf dem Wege dorthin gesenkten Hauptes im anstrengendem Dialog mit den Auswüchsen der multimedialen Meinungs-Kastration. Der junge Mann hatte sein Buch in einem Rucksack verstaut. Gar zu gerne hätte ich dessen Titel gewusst. Ich hoffe, es war kein Handbuch zum Kauf eines neuen Smartphones.

Aber dafür wirkten seine Gesichtszüge eigentlich viel zu entspannt.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.Ihr Jürgen C. Braun

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