20. ADAC Opel Classic Hessen-Thüringen

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Motoren schallen durch den Thüringer Wald anstatt Damwild! In den Ohren klingt das Röhren aus 120 Auspufftöpfen. Auf dem Marktplatz von Zeulenroda riecht es nach Öl und Benzin. Hier erfolgte der Startschuss der 20. ADAC Opel Classic Hessen-Thüringen am 30. Mai bei schönsten Wetterbedingungen. Für die Oldtimer-Karawane stehen zwei Tage und knapp 400 Kilometer über Nebenstraßen und Landstraßen auf dem Programm. Die Route ist gespickt mit Durchgangskontrollen sowie Wertungsprüfungen und führt durch Thüringen und Bayern. Bei der diesjährigen Hessen-Thüringen mit am Start sind zehn Oldtimer aus dem Opel Classic Fundus. Für den Rüsselsheimer Autohersteller ist die Oldtimer-Rallye zugleich eine Geburtstagsausfahrt. So wird der Kadett E 30 Jahre alt, die KAD-Reihe (Kapitän, Admiral, Diplomat) sogar 50 Jahre und der Opel 4/12 PS – auch liebevoll Laubfrosch genannt – wird ganze 90 Jahre alt.

Und man glaubt es kaum: Der Opel Kadett E, von 1984 bis 1991 von den Südhessen gebaut, wird in diesem Jahr 30 Jahre alt und erreicht nun offiziell den Oldtimer-Status. Der Kadett E war beileibe nicht nur ein kompaktes Alltagsauto, sondern hat auch Rallye- und Rennsportgeschichte geschrieben. So wurde hinter dessen Volant Driftkönig Sepp Haider mit seinem Beifahrer Ferdi Hinterleitner unter Teamchef Jochen Berger Internationaler Deutscher Rallye-Meister 1989. Exakt dieser Gruppe A Kadett GSI ist unser Einsatzgerät an diesem Wochenende, er trägt die Startnummer 65, und ist von der KÜS-Redaktion besetzt. Je nach Achsübersetzung verspricht der 180 PS starke Rallye-Kadett von Sepp Haider-Kadett eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 220 Stundenkilometern und katapultiert den Boliden in Porsche-Manier innerhalb von rund sechs Sekunden auf 100 km/h. Das spielt aber bei der klassischen Rallye Hessen-Thüringen eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen vielmehr Gleichmäßigkeitsprüfungen und hier geht es mehr um Präzision als um Power und Tempo. Assistenzprogramme sucht man vergeblich: der Kadett verlangt noch die gesamte Aufmerksamkeit des menschlichen Fahrers. Als Entschädigung gibt es Fahrspaß pur. Allerdings ist es schon eine etwas mulmig stimmende Erfahrung, so ganz ohne ABS und ESP unterwegs zu sein. Und während heute jeder moderne Kleinwagen über eine Servolenkung verfügt, sucht man sie in unserem Kadett GSI vergebens. Kein Wunder, unser Bolide stammt aus dem Jahr 1985, da stand damals in dieser Fahrzeugklasse erst gar nicht zur Debatte. Das nimmt man nicht immer gerne und billigend in Kauf.

Also einsteigen, was nicht gerade einfach ist und viel Gelenkigkeit erfordert. Denn Fahrer und Beifahrer müssen sich erst einmal über die Querstrebe des Überrollkäfigs geschickt einfädeln, um auf die Recaro-Schalensitze zu gelangen. Dann noch schnell die Hosenträgergurte auf die eigene Körpergröße einstellen und festzurren und schon kann das Abenteuer losgehen. Bei einer Oldtimer-Rallye geht es zwar um Präzision und Gleichmäßigkeit, aber wenn man im E-Kadett vom ehemaligen Driftmeister Sepp Haider sitzt, geht einem das Rennfahrerherz auf und die ein oder andere Kurve wird mit Karacho genommen. Was für ein Gefühl: Eingepfercht in die Schalensitze, die durchaus den Beinamen „Schraubstock“ verdient hätten, bilden eine feste Verbindung mit dem Fahrzeug. Dabei packen die Hosenträgergurte fest zu und erlauben dem Piloten und der Co-Pilotin nur wenig Bewegungsspielraum. Menschen mit Klaustrophobie sind in dem Rallye-Boliden definitiv fehl am Platz. Schwerstarbeit ist angesagt. Die schwergängige sowie servolose Lenkung erfordert viel Kraft bei langsamem Tempo und erspart dem Piloten auf jeden Fall den Gang ins Fitnessstudio. Einen Body-Workout mit Bizeps-Aufbau gibt's im Rallye-Kadett gratis dazu. Das Auto beansprucht die Oberarme beim Einlenken enorm und der Pilot fragt sich soeben, wie Rallye-Meister Haider den Boliden damals so schnell ums Eck wedeln konnte. Der Sepp kann nur so dicke Oberarme wie Arnold Schwarzenegger zu seinen besten Zeiten gehabt haben und trotzdem driftete er mit dem schwergängigen Rallye-Auto so galant wie virtuose. Jetzt mal schauen, wie es um die Power steht. Mit einem Tritt auf das rechte Pedal und schießt der Kadett blitzschnell nach vorn. Der Wagen liegt wie das sprichwörtliche Brett auf der Fahrbahn und der Pilot sieht ähnlich glückselig aus als ob er gerade einen Sechser mit Zusatzzahl gewonnen hätte. Er grinst über beide Ohren, obwohl es innen ziemlich laut ist.

Dämmmaterial fehlt. Ausnahmslos alles Unnötige an Gewicht, was der reguläre Serien-Kadett so mitbrachte, flog beim Rallye-Kadett raus. Es kostet bei der Hatz um Punkte und Platzierungen nur unnötig Zeit. Mittlerweile rumort und grummelt der Rallye-GSI mit jedem Gasstoß unüberhörbar lauter, während die Kieselsteine der Schotterpiste geräuschvoll gegen das Bodenblech hämmern. Er ist nicht nur unglaublich schnell, sondern nimmt die Kurven äußerst spurtreu und präzise. Das straffe Fahrwerk des Gruppe A erlaubt hohe Kurvengeschwindigkeiten, doch auf normalen Straßen sucht der Pilot immer wieder ein Schlupfloch, um an Kanaldeckeln und anderen Unwägbarkeiten des Straßenbaus stoßfrei und unbeschwert vorbeizukommen. Denn Unebenheiten gibt der Rallye-Bolide ungefiltert an seine Insassen weiter. Währen dessen stemmt der Navigator die Beine an dem eigens angebrachten Stemmbrett im Fußraum fest und ist damit beschäftigt die abgefahrenen Punkte im Roadbook abzuhaken und dem Fahrer den weiteren Weg zu weisen. Mit dem Roadbook in der Hand wird der Navigator sozusagen zum menschlichen Navigationssystem.

Aber auch die GLP (Wertungsprüfungen) müssen immer wieder vorbereitet werden. Das schweißt Fahrer und Navigator ebenso zum Team wie das Meistern der Wertungsprüfungen. Insgesamt 13 GLPs mussten in zwei Tagen absolviert werden. Die nächste Prüfung steht an. Unser rund 880 Kilogramm leichter Kadett mit Fünfgangschaltung muss einen fünf Kilometer langen Abschnitt in exakt neun Minuten und 05 Sekunden bewältigen. Die gefahrene Zeit wird von Sportwarten mit Hilfe von Lichtschranken überprüft. Ist man zu schnell in diesem Abschnitt unterwegs, gibt es Punktabzug. Zu langsam heißt ebenfalls Abzug. Deshalb muss die Wegstrecke von Pilot und Co-Pilotin genauestens eingeteilt sein, um in exakt 9:05 Minuten den Parcours zu meistern. Keine leichte Aufgabe, dafür muss die Stoppuhr im richtigen Moment und beim Passieren der Lichtschranke aktiviert werden. Dann gilt es für die Co-Pilotin die Zeit runter zuzählen, damit der Fahrer die Lichtschranke bei exakt 9:05 Minuten passiert. Die Entdeckung der Genauigkeit und das Timing sind also gefragt. Im Opel-Oldtimer musste also um Hundertstel gekämpft werden. Abweichungen oder Auslassen der Durchfahrtskontrollen heißt Wertungsverlust und es hagelt Strafpunkte. Das waren aber zum Glück nur wenige, denn obwohl Pilot und Co-Pilotin das erste Mal in einem Rallye-Boliden zusammen gesessen haben, lief alles wie am Schnürchen. Am Freitagabend fuhren beide auf dem GSI den Klassensieg ein, der bis zum Rallye-Ende am Samstag gehalten werden konnte. Auch die Platzierung in der Gesamtwertung kann sich sehen lassen: Platz 37. Beide Piloten sind im Ziel überaus glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis. Der Gruppe A Kadett GSI lief wie ein Uhrwerk und hat die Tortur problemlos überstanden. Dabei hat man ihm sein hohes Alter kaum angemerkt. Und das Wichtigste überhaupt: Er hat den Ritt unfallfrei überstanden und kann somit unbeschadet wieder bei der nächsten historischen Rallye an den Start gehen.

Fazit: Die ADAC Opel Classic Hessen-Thüringen war ein großes Oldtimer-Kino. Sowohl für die Zuschauer als auch die Teilnehmer. Egal ob bei den Durchfahrtskontrollen auf Marktplätzen der Ortschaften oder beim Zieleinlauf vor dem fürstlichen Schloss in Greiz: Unser Sepp Haider-Kadett sorgte für die große Show und erntete viel Beifall vor dem angereisten Publikum.

Text: Ute Kernbach/Guido Borck
Fotos: Peter Jülich

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