Buchtipp – Frank Günther: Unser Shakespeare

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Der Mann hat meinen Notendurchschnitt im Abschlusszeugnis nach unten gedrückt. Indirekt. Und meinen Englischlehrer zur Fassungslosigkeit getrieben: Nie und nimmer komme Macbeth, wiewohl auf dem Lehrplan, in die Abschlussprüfung! Wir sollten uns doch besser auf John Steinbeck und William Golding konzentrieren. Wer das nicht tat und sich auch Shakespeares Werk nochmal genauer ansah, ersparte sich am Tag des Schriftlichen einen Riesenschreck.

Was mag die Verantwortlichen bewogen haben, uns Neunzehnjährigen dieses Werk quasi zuzumuten? Es ist doch ein Klassiker! Gehört doch zur Bildung! Argumente letztlich, die einen eher von der Beschäftigung damit abhalten, statt neugierig zu machen. Dabei hätte das Werk des 1564 geborenen und 1616 gestorbenen Dichters wahrlich Aufmerksamkeit verdient. Frank Günther ebnet ihn.

Zunächst: Der Klassiker war in seiner Zeit Unterhaltungsautor. Allen Bildungsbeflissenen zum Trotz, denn die Möglichkeiten zur Unterhaltung waren sehr begrenzt. Und: Es waren bewegte Zeiten, dramatische Zeiten, der Blick des Dichters in menschliche Abgründe kommt nicht von Ungefähr. Und man bedenke: Gefühle, positive wie negative, auch Sexualität – all das musste man seinerzeit deuten ohne die Möglichkeiten der Psychoanalyse.

Das ist die große Kunst von Frank Günther: Er führt uns 450 Jahre zurück und zeigt uns, welche Errungenschaften es damals noch nicht gab, so dass die Deutungsmöglichkeiten menschlichen Handelns sehr begrenzt waren. Dafür war einer wie William Shakespeare in seiner Zeit genau der Richtige.

Und wenn man bedenkt, wie vieles von Shakespeares Szenen (und er hat sein Publikum nicht geschont) und Sentenzen bis heute gilt, dann mag man schon mal die ein oder andere Gänsehaut haben.

Frank Günther: Unser Shakespeare. Deutscher Taschenbuch Verlag; 14,90 Euro.

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