Tradition: Heckmotor-Hype

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Vor einem halben Jahrhundert wusste niemand wirklich, welchen Weg Automobile mit Heckmotor einschlagen würden. So viel allgemeine Verunsicherung führte dazu, dass Renault, NSU, Simca, Subaru oder Fiat sogar parallel in die Entwicklung von Front- und Heckmotorkonzepten investierten. Tatsächlich sollte es noch über ein Jahrzehnt dauern, bis die Fronten zwischen Motor vorn oder hinten endgültig geklärt waren. Endgültig? Beim Porsche 911 blieb alles beim alten Erfolgskonzept. Und: Trotz oder wegen aller Erfahrungen mit Heckmotormodellen wollen es Renault und die Daimler-Marke Smart heute neu und besser machen, jetzt mit dem Motor über und nicht hinter der Hinterachse.

Es war die Zeit der Aufrüstung. Die Automobilindustrie setzte vor 50 Jahren mit immer höheren PS-Leistungen und mehr Hubraum motorische Ausrufezeichen. Die Ära der europäischen Kleinstwagen und Kabinenroller war vorüber, Mitte der 1960er Jahre verlangten die Autokäufer viele PS und vor allem Prestige. Waren Heckmotorautos jetzt noch zeitgemäß? Ja, meinten die Fachmedien und schickten die neuen Modelle VW 1500 (Typ 3) und NSU Prinz 1000 in die ersten Vorläufer heutiger Dauertests. Nein, meinten manche Produktplaner der Industrie und erklärten Modelle mit Heckmotor für unmodern, nur um durch die Autokäufer eines besseren belehrt zu werden.

So erzielte etwa Italiens größter Autohersteller nur deshalb den bis dahin größten Verkaufserfolg seiner Geschichte, weil er den eigenen Marktanalysten misstraute. Diese hatten Fiat zu einem modernen Modell mit mindestens 1,0 Liter Hubraum geraten. Stattdessen präsentierten die Turiner den Typ 850 als klassische Heckmotorlimousine. Der Fiat 850 wurde ein Shootingstar, der sogar die weiterhin angebotenen italienischen Heckmotor-Volksautos Fiat 500 und 600 überholte. Mit dem 850 knackte der Konzern erstmals in nur 18 Monaten die Produktionsmarke von 500.000 Einheiten.

Außerdem waren es heiße Heckfeger im Kompaktformat, die erstmals zum Schrecken der etablierten Vollgaszunft wurden. Allen voran der neue Abarth OT 1600 im verspoilerten Kleinwagenkleid des Fiat 850. Seine 113 kW/154 PS sollen genügt haben, um es in der Vmax mit einigen doppelt so starken Ferrari aufzunehmen. Dann der kompakte Newcomer Renault 8 Gordini, dessen 70 kW/95-SAE-PS für 170 km/h gut waren. Schließlich der NSU Prinz 1000 als Vorbote des TT. Und der mit leichter Verzögerung nun in Serie gehende NSU Spider als weltweit erstes Auto mit Wankelmotor. Nicht zu vergessen die Vorteile besserer Traktion für Sprint-Duelle, wenn der Motor seine Musik hinten spielte und sein Gewicht die angetriebene Hinterachse belastete. Andererseits konnten die Heckmotor-Modelle in jenen Jahren vor elektronischen Helferlein auf rutschigen Bahnen auch unberechenbar werden. Erst untersteuern, dann urplötzlich ausbrechen – die Gefahr war allgemein bekannt.

Heckmotorautos haben eben ihr besonderes Wesen – und das seit 1886. Schließlich baute bereits Carl Benz in seinem Patentmotorwagen das Kraftwerk an der Hinterachse ein. Eine Entwicklung, die 1964 ihren Höhepunkt erreichte. 35 Marken folgten damals der Technik, die eine Kardanwelle überflüssig machte. Ob Abarth, Autobianchi, BMW, Chevrolet, Fiat, Goggomobil, Matra-Bonnet, Mazda, Mitsubishi, NSU, NSU-Fiat, Porsche, Ramses, Renault, Seat, Simca, Singer, Škoda, Steyr-Puch, Subaru, VW, Willys, Zagato: Sie alle hatten ein oder mehrere Modelle mit wasser- oder luftgekühlten Motoren an der Hinterachse im Angebot. Ob der Heckmotor heute dank der elektronischen Assistenzsysteme vor einem Revival steht? Zwei neue Heckmotor-Modelle machen noch keinen Sommer, letztlich aber kennen die Antwort nur die Autokonstrukteure – und König Kunde.

Text: Wolfram Nickel/SP-X, Fotos: Hersteller

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