„Harry Potter“ in der Rallye: Hyundai setzt auf Neuville

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Er war der begehrteste Mann auf dem Fahrermarkt nach Ende der vergangenen Saison und gilt als das größte Talent in der Rallyeszene: Trotz seines jugendlichen Alters von nur 25 Jahren der junge Mann aus einer belgischen Kleinstadt, an der Schnittstelle von Eifel und Ardennen, von den großen Herstellern hofiert und umworben wie kein Zweiter. Kein Wunder, war Thierry Neuville doch im vergangenen Jahr hinter dem alles dominierenden VW-Mann Sébastien Ogier Vize-Weltmeister geworden. Und das in einem Team zwar ohne offizielle Werksunterstützung, aber in einer „exzellenten Arbeitsbeziehung zu Ford“, wie Malcolm Wilson, Manager des britischen M-Sport-Teams sagt. Doch in der am Donnerstag beginnenden Rallye-WM wird Neuville nicht mehr wie im vergangenen Jahr einen Ford Fiesta RS WRC pilotieren, sondern den neuen Hyundai i20 WRC. Als Nr. 1 der Koreaner, die nach harter und akribischer Vorlaufzeit in die WM zurück kehren.

Wer ist dieser junge Mann mit dem ganz besonderen Outfit? Wenn Thierry Neuville durch seine beschauliche Heimatstadt St. Vith schlendert, dann muss er Zeit mit bringen. Mehr Zeit, als er im Allgemeinen übrig hat. Denn der 24jährige mit dem Satz markanter, optisch auffallender Designer-Brillen ist ein Kosmopolit. Selten zu Hause, meist unterwegs in Sachen Rallyesport. Fahren, testen, entwickeln im Auftrag seines neuen Arbeitgebers Hyundai. Die Südkoreaner, weltweit fünftgrößter Automobilhersteller, kehren in diesem Jahr nach fast einem Jahrzehnt Abstinenz in die „Champions League der Quertreiber“ zurück. Und die Verpflichtung Neuvilles, der nicht nur Vize-Weltmeister ist, sondern auch der gefragteste Mann auf dem Fahrermarkt war, soll verdeutlichen: „Wir meinen es ernst. Wir wollen nicht nur dabei sein im Konzert der Großen, sondern den Takt mit angeben.

In St. Vith, in Lommersweiler, in Steinebrück und wie die kleinen Weiler im deutsch/belgischen Grenzgebiet alle heißen mögen, ist der freundliche Thierry trotz seiner gerade mal 25 Jahren bereits ein Held. Er ist einer der Ihren auf dem Weg nach ganz oben. Im deutschsprachigen Teil Ost-Belgiens, ist er der Sebastian Vettel der Großregion. Dort, wo der Eifel-Ardennen-Radweg hinüber in die deutschen Kleinstädte nach Prüm und Gerolstein kreuzt, wo die Menschen an der Schnittstelle von Ardennen und Eifel im vergangenen Jahrhundert das Wachsen eines gemeinsamen Europas oft sehr schmerzhaft und leidvoll in der eigenen Familie erfahren mussten, repräsentiert Neuville das junge, das neue, das gemeinsame Europa.

„Ich bin gerne zu Hause, leider nur sehr wenig. Aber ich genieße es, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich werde oft auf der Straße angesprochen“, plauderte Neuville, 2013 im Ford Fiesta RS WRC Vize-Weltmeister hinter Ogier, aus dem Nähkästchen. Bei der Vorstellung des neuen WRC-Teams von Hyundai Ende vergangenen Jahres plauderten wir mit Neuville, der mit seiner markanten Brille eine Art freundliches „Harry-Potter-Double“ ist. Neuville, der nicht nur als seltenes fahrerisches Talent, sondern auch als Fitness-Freak und als akribischer Arbeiter gilt, wird weiterhin mit seinem bisherigen Co-Piloten Nicolas Gilsoul an den Start gehen. Sein neuer Team-Kollege Dani Sordo, Sieger der Deutschland-Rally 2013 rund um Trier, hat ihm zwar jahrelange Erfahrung voraus. Thierry, der vor zwei Jahren im Juniorteam von Citroën als Loeb-Nachfolger aufgebaut werden sollte, gilt aber als ungeschliffener Diamant im Rallye-Geschäft.

Inzwischen hat Neuville seinen Wohnsitz nach Monaco verlegt. Mit Ex-Radsport-Weltmeister Philipp Gilbert, einem Landsmann, ist er befreundet. „Aber in den Anstiegen der Seealpen kann ich mit ihm nicht mithalten“, gibt er lächelnd frank und frei zu. Auf was er nicht verzichten will und wird, sind die regelmäßigen Besuche beim Optiker seines Vertrauens in der belgischen Heimatstadt („Meine Brillen sehen zwar markant aus, sind aber kein modischer Schnickschnack.“) und das Training im Fitness-Zentrum, das er schon seit vielen Jahren kennt.

Neuville überlässt nichts dem Zufall. Zu seinem Optiker Guido Faber hat der Rallye-Profi ein ganz besonderes Verhältnis: „In den letzten beiden Jahren haben wir ein zielgerechtes Augentraining absolviert. Da kommen ständig neue Übungen hinzu. Ich arbeite täglich 30 Minuten an und mit meinen Augen. Der Erfolg stellt sich ein. Mein Sichtfeld hat sich enorm erweitert, meine Reaktionszeiten sind schneller geworden. Im Motorsport sehr wichtig.“Die Region Ardennen, Eifel, Mosel, wird auch 2014 eine wichtige Rolle für Neuville und seinen neuen Arbeitgeber spielen. „Wir werden in den Weinbergen an der Mosel trainieren. Das ist ein Muss. Wenn ich dort bin, halte ich mich mit Joggen, Rad fahren oder auch bei einer Stippvisite zu Hause im Studio fit.“ Dort kennt er die Leute. Und sie kennen ihn. Wenn der eher schmächtige Pilot einmal etwas mehr Zeit hat, was zugegebenermaßen immer weniger vorkommt, dann greift er auch einmal zur Angel in einem der Bäche von Eifel oder Ardennen.

In diesem ersten Jahr wollen Hyundai und Neuville noch Erfahrungen und Ergebnisse angeln im WM-Kalender. Genau wie es auch Volkswagen machte, das zunächst ein Jahr lang mit einem Škoda Fabia RS 2000 antrat. 2015 soll dann der große Fisch am Haken zappeln: Der WM-Titel. Und dafür braucht der „Harry-Potter der Rallye-WM“ nur das Cockpit seines Hyundai i20 WRC. Und keine „Kammer des Schreckens…“

Text: Jürgen C. Braun / Fotos: Hyundai, Jürgen C. Braun

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