Tradition: 50 Jahre DKW F 102/Audi 72

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In jedem Ende liegt ein neuer Anfang, wussten schon die alten Chinesen. Außergewöhnlich allerdings, wenn dabei ein herzkranker Held sterben muss, um dann mit neuem Kraftwerk wiedergeboren zu werden. Eine Rolle, die dem vor 50 Jahren vorgestellten DKW F 102 bereits in die Wiege gelegt worden war. Sollte das modern gezeichnete Mittelklassemodell doch den schwer angeschlagenen Auto Union Konzern retten, dies aber unter Wahrung der damals bereits überlebten Zweitakt-Technik. Als „Formel des Fortschritts“ wurden die frontangetriebenen Limousinen beworben, die mit 44 kW/60 PS Leistung gegen die zahlreichen Konkurrenten mit Hinterradantrieb antraten, allen voran Opel Rekord, Ford 17M und VW 1500.

Überhaupt schienen die Chancen des DKW F 102 mit Dreizylinder-Zweitakter zunächst nicht schlecht, wie das positive Publikums- und Presseecho bei der Premierenfeier auf der Frankfurter IAA signalisierte. Die Öffentlichkeit hatte der Vorstellung des neuen DKW so sehr entgegengefiebert, dass die Messehalle wegen Überfüllung zeitweise immer wieder geschlossen werden musste. Dabei hatte die IAA doch weit glamourösere Stars wie den neuen Porsche 901 (911) oder die neue Staatskarosse Mercedes 600 zu bieten. Keiner fesselte die Massen aber mehr als der DKW F 102. Er war in der aufstrebenden Mittelklasse positioniert und mit ihm wollte die darbende Auto Union zum neuen Höhenflug abheben.

Tatsächlich warteten die über 1.300 deutschen DKW-Händler auf den Hoffnungsträger bereits ungeduldig „wie Kinder auf Weihnachtsgeschenke“. So die Kommentare einiger großer Händler gegenüber Pressevertretern. Was damals noch keiner ahnte: Nur zwei Jahre später wiederholte sich dieses Warten auf Weihnachten. Der DKW F 102 war wider aller Prognosen am Markt gescheitert, jetzt musste es sein Sohn richten, der in kaum verändertem Karosseriekleid unter dem Code F 103 als erster Audi der Nachkriegsära vorgestellt wurde. Dies – auch damit hatte bei der Entwicklung des DKW F 102 kaum jemand gerechnet – unter dem Dach des VW-Konzerns. Verwirrend wechselhafte Zeiten, zumal unter der Motorhaube der schlicht „Audi“ genannten Limousine ein Viertaktmotor arbeitete, den ausgerechnet der spätere Konkurrent Mercedes spendiert hatte. War doch die Daimler-Benz AG vorübergehender Eigentümer von Auto Union gewesen. Und tatsächlich: Mit der Mercedes-Maschine mutierte der einstige DKW F 102 zum Vater der modernen Ingolstädter Mittelklasse, die schließlich als Audi 60 bis Audi Super 90 Bestsellerpotential zeigte. So brachten es die Baureihen F 102 (DKW) und F 103 (Audi) am Ende doch noch auf eine neunjährige Bauzeit und rund eine halbe Million Einheiten. Nachfolger wurde erst 1972 der neue Audi 80 (B-Typ) mit modernem Quermotor, der zugleich die Basis bildete für den davon abgeleiteten ersten Volkswagen Passat. Den technischen Boden bereitet für den allmählichen Aufstieg von Audi zu einem Platzhirsch in der anspruchsvollen Mittelklasse aber hatten die letzten DKW, denen der Zweitakter zum Verhängnis wurde.

Zeitblende: Am Ende der wilden Wirtschaftswunderjahre war die automobile Welt im Umbruch. Um 1960 war die Zeit der kleinen Rollermobile abgelaufen, BMW auch darüber ins Straucheln geraten, der Borgward-Konzern ging unter und bewährte Techniken aus der Vorkriegsära stießen an die Grenzen ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Während der Zweitaktmotor in der DDR in Trabant und Wartburg und auch in den kompakten schwedischen Saab 93 bis 96 noch große Erfolge feierte, konnte er ansonsten in der europäischen Mittelklasse nicht mehr reüssieren. Eine Entwicklung, der sich DKW vergeblich mit neuen Modellen entgegenstellte, darunter den Auto Union 1000 SP Sportwagen im amerikanischen Traumwagendesign und dem schicken Kleinwagen Junior. Finanziell sah es bei der Ingolstädter Auto Union, die auch in Düsseldorf ein Werk unterhielt, vorläufig jedoch noch relativ unproblematisch aus. War die Marke mit den markanten Ringen doch seit 1959 eine 100prozentige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG.

Dann aber rutschten die DKW Verkaufszahlen in den Keller. Betrug der DKW-Anteil an den deutschen Zulassungen 1961 noch 7,2 Prozent, waren es drei Jahre später lediglich 3,7 Prozent. Richten sollte es nun der von Daimler-Benz nach Ingolstadt entsandte Ingenieur Ludwig Kraus, der die Auto Union auf erfolgreichen Kurs brachte – auch als Volkswagen ab 1964 neuer Mehrheitseigentümer wurde. Da war der DKW F 102 als Nachfolger der betagten Auto Union 1000er Baureihe gerade in Großserie gegangen. Zunächst als Zweitürer, ab Frühjahr 1965 auch als repräsentativerer Viertürer. Abrunden sollte das Programm ein eleganter Kombi, der als F 102 Universal für den Herbst 1965 vorgesehen war. Dazu kam es allerdings nicht mehr, denn die Zweitaktzeit des „Reng-Deng“-Sounds und der blauen Auspuffwolken klang aus. Statt des F 102 Universal präsentierte die Auto Union Ende 1965 den unter Ludwig Kraus entwickelten Typ „Audi“ mit einen ursprünglich für Daimler-Benz-Fahrzeuge konzipierten 1,7-Liter-Viertaktmotor. Die Halden unverkaufter F 102 wuchsen derweil unaufhörlich, im Winter 1964/65 standen über 25.000 unverkaufte DKW auf Ingolstädter Parkplätzen. Im März räumte der F 102 das Feld für die Produktion des „Audi“ und des Käfer, für den die Wolfsburger neue Fertigungskapazitäten suchten.

Dabei konnte der F 102 doch als erster DKW mit einer selbsttragenden Karosserie punkten. Überdies wurden die betagten Querblattfedern an Vorder- und Hinterachse durch eine zeitgemäße Torsionsfederung ersetzt. Die vorderen Scheibenbremsen des F 102 galten noch als außergewöhnlich, derartige Bremsen fanden sich fast nur an Sportwagen und schnellen Limousinen wie den BMW 1600/1800, an die der DKW auch mit Designelementen erinnerte. Was war dem DKW F 102 dann zum Schicksal geworden? Wahrscheinlich eine Kette von qualitativen Pannen und seine Positionierung zwischen allen Stühlen. Den Stammkäufern von Opel Rekord oder Ford 17M gefiel der Zweitaktmotor des DKW nicht, der überdies geringfügig teurer war als die hubraumgrößeren Konkurrenten. Oft wurde der F 102 ob seines Hubraums von nur 1,2 Litern jedoch sogar in Relation zu Ford 12 M, VW 1200 oder Opel gesetzt – und dann hatte der Ingolstädter kostenseitig eindeutig schlechtere Karten.

Vielen traditionellen DKW-Fahrern wiederum war der F 102 zu fortschrittlich in Design und Konstruktion, ersetzte er doch die rundlich geformten DKW/Auto Union 1000, deren Grundkonzept bis in die Vorkriegsjahre zurückreichte. Die ersten Pressetestberichte über den DKW waren überaus wohlwollend, nach Anlauf der Großserienfertigung hagelte es jedoch Kritik über Kinderkrankheiten wie Klappergeräusche der Karosserie, fehlerhafte Lackierungen oder Auspuffanlagen, die bereits nach einem Jahr erneuert werden mussten. Dabei war es in jenen Jahren doch eigentlich verbreitet, dass Autos erst in Kundenhand wirklich serienreif wurden.

Die Verkaufszahlen des Jahres 1964 waren so deprimierend, dass DKW die Preise senkte. „Alle DKW's sind billiger geworden“, titelten die Werbetexter die Ausverkaufskampagne. Es nutzte nichts. 1964 kamen auf einen verkauften F 102 elf Opel Rekord, insgesamt erzielte der DKW F 102 gerade einmal 32.575 Zulassungen. Auch im Vergleich zum Vorgänger Auto Union 1000 war dies kein Ruhmesblatt, wurden von diesem Zweitakter in guten Zeiten immerhin knapp 60.000 Einheiten jährlich abgesetzt. VW-Generaldirektor Heinrich Nordhoff zog die Notbremse, beerdigte die Marke DKW und präsentierte bereits im August 1965 den facegeliften F 102 mit Viertaktmotor als neuen Auto Union „Audi“. Mit seinen 53 kW/72 PS aus einem 1,7-Liter-Vierzylinder-Viertakter ermöglichte der erste Nachkriegs-Audi den Aufstieg der vier Ringe zum Herausforderer von BMW und Mercedes. DKW war nicht umsonst gestorben.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Audi/SP-X

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