Liebe Leserin!
Lieber Leser!

In jedem Jahr gibt es etliche Jubiläen zu feiern, wann welches Auto auf den Markt gekommen ist und warum es innerhalb eines bestimmten Zeitraums die Geschichte des Automobils mit bestimmt hat. Oder auch nicht. Auf einer längeren Autobahnfahrt in dieser Woche wurde im Radio ein Geburtstag aus der Verkehrsbranche thematisiert, der sich nicht mit einem Fahrzeug, sondern mit einer gesetzlichen Regelung befasste. Ein eher überraschender, aber auch gelungener journalistischer Ansatz, wie ich fand. Es ging um die Einführung der Tempo-30-Zone gegen Ende des Jahres 1983.

Längst ist diese gesetzliche Vorgabe, vornehmlich in beruhigten Wohngebieten mit Schulen Kindergärten oder Seniorenheimen, Alltag geworden. Das sah 1983 noch anders aus. Bis – zunächst versuchsweise – vor den Toren Hamburgs, in Buxtehude, eine solche Zone mit Tempo-Limit zum ersten Male eingeführt wurde. Ziel war natürlich die Steigerung der Verkehrssicherheit, aber auch dem Fahrzeug-Lärm und den Abgasen sollte damit an den Kragen gegangen werden. Schon bald aber zeigte sich nach den ersten Ergebnissen: Die Autofahrer/innen hielten sich in der Praxis nur an das ungewohnte Tempo 30, wenn es gar nicht mehr anders ging. Darunter waren auch, man höre und staune, die meisten Anwohner der betreffenden Zone.

Im Laufe der Sendung ging es nun nicht so sehr um Wirkung, um Sinn (oder Unsinn) der Tempo-30-Zone, sondern, wie man selbst – als in diesem Falle der Hörer – sein Verhalten in Tempo-30-Zonen den Erfordernissen anpasste. Gefragt war also Ehrlichkeit am Mikrofon, oder zumindest am Telefon. Wie nicht anders zu erwarten, beteuerte natürlich (fast) jede Anruferin oder jeder Anrufer, dass man sich selbst „natürlich“ daran halte. Klar, ein paar „Kilometerchen“ mehr auf dem Tacho seien es ab und zu schon, aber schließlich sehe man ja die Notwendigkeit der präventiven Unfall-Maßnahme ein und mache sofort langsamer, wenn man sein Fehlverhalten bemerke.

Allerdings, und da waren sich die meisten Anrufer einig, man müsse sich schon eine gewisse Sturheit zu eigen machen und sich nicht durch Drängler im Rückspiegel von seinem vorbildlichen Verhalten abbringen lassen. Die bösen Drängler, die mit der Lichthupe herum hantieren, die hupen oder gar zum Überholversuch an setzen, waren das Thema, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte einstündige Sendung zog.

Komisch, dachte ich bei mir: Wenn es doch so viele Drängler und uneinsichtige Autofahrer gibt, warum bitte schön, outet sich niemand und sagt: „Okay, ich bin auch nicht der Heilige am Steuer, ich „schiebe“ auch schon mal an von hinten oder fahre mit 50 durch eine 30er Zone.“ Liegt es in der Natur des Menschen, nur sein absolut vorbildhaftes Verhalten zur Schau zu stellen oder hat sich die Mehrzahl der Anrufer einfach nur in den falschen „Topf“ bei den Guten eingereiht? Die „Bösen“, die Uneinsichtigen, die Raser, die Drängler, sind immer die Anderen. Aber ich? Ich doch nie!

Ganz ehrlich, liebe Leserinnen und Leser. Ich fahre viel, sehr viel. Meist längere Strecken, aber eben manchmal auch in unbekannten Städten und merke mitunter erst nach einer Weile, dass ich einfach zu schnell war, dass ich gerade in einer Tempo-30-Zone bin. In den meisten Fällen hat die verkehrsberuhigte Zone ihren Zweck erfüllt. Auch nach 30 Jahren. Manchmal aber fragt man sich schon: „Warum ausgerechnet hier.“

Und dann täte auch ein bisschen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ganz gut. Es muss nicht unbedingt im Radio sein.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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