Sportwagen: Purismus aus Oranje

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3
Foto 4

SP-X/Lelystadt/Niederlande. Autos aus Holland? Wenn man Lizenzproduktionen wie die von Mitsubishi mal außen vor lässt, muss man da schon ziemlich lange grübeln. Denn um Spyker ist es nach Desaster mit Saab in den letzten Jahren relativ ruhig geworden und die Erinnerungen an DAF sind mittlerweile schon verblasst. Doch es gibt einen, der die Fahne von Oranje weiter hoch hält – und damit sogar im Blickfeld der etablierten Supersportwagen wedelt: Joop Donkervoort. In Lelystad vor den Toren von Amsterdam baut er mit Frau, zwei Kindern und zwei Dutzend Mitarbeitern seit 35 Jahren Sportwagen, wie sie puristischer kaum sein könnten und ist mit einer Produktion von 40 bis 60 Fahrzeugen im Jahr mittlerweile sogar der größte Autohersteller im Land.

In diesen Tagen herrscht in der Halle am Ortsrand der Kleinstadt wieder besonders viel Betrieb. Denn nach fünf Jahren Entwicklungszeit und vielen Monaten im Prototypenbau ist der neue D8 GTO fertig. Der sieht zwar auf den ersten Blick genauso aus wie alle anderen Autos von Donkervoort und wie der Lotus Super Seven, der den Holländer ganz zu Anfang inspiriert hat. Doch wer genau hinschaut, erkennt, dass Donkervoort rund um den neuen Motor auch ein komplett neues Auto gebaut hat. „Wenn schon, denn schon“, sagt der Firmenchef, der überhaupt nur deshalb mit der Arbeit angefangen hat, weil die neuen Schadstoffnormen drohten, seinem alten Vierzylinder den Garaus zu machen. „Und weil wir dafür ohnehin das Chassis anpassen mussten, haben wir das Auto halt gleich ein bisschen aufgeblasen, so dass man damit jetzt etwas komfortabler unterwegs ist.“

Wobei das mit dem Komfort so eine Sache ist. Ja, jetzt passen auch Menschen in die Sardinenbüchse, die etwas größer sind als Jockeys, und die Sitze erinnern nicht mehr ganz so sehr an Schraubstöcke. Doch wenn das eine Komfort-Offensive sein soll, dann kann man dem Fakir auch ein Leintuch übers Nagelbrett legen. Aber Platz ist Joop Donkervoort eigentlich genauso gleichgültig wie Protz und Prunk. Ihm geht es um maximalen Fahrspaß. Und weil es den nur bei minimalem Gewicht gibt, spart er nicht nur an der Karosserie, sondern auch an allen Extras: Die kleinen Flügeltüren haben weder Griffe noch Schlösser, die Fenster sind Steckscheiben, die man am besten zu Hause lässt, ein Dach gibt es erst gar nicht und Finessen wie eine Klimaanlage, ein Radio oder wenigstens eine rudimentäre Sicherheitsausstattung sucht man vergebens: Airbags? Kosten nur Gewicht! ABS und ESP? Verfälschen nur das Fahrgefühl! Bremskraftverstärker und Servolenkung? Braucht man nicht, dafür hat man ja seine Muskeln. Weil Donkervoort beim neuen Modell zudem von Aluminium auf Karbon gewechselt hat, wiegt der D8 GTO trotz des größeren Motors und des gewachsenen Formats kaum mehr als sein Vorgänger. „Wir konnten die Gewichtszunahme auf 70 Kilo begrenzen“, sagt Donkervoort ein wenig zerknirscht, nur um gleich wieder zu strahlen, wenn er den Gesamtwert nennt: 695 Kilo – das wiegt beim Bugatti Veyron wahrscheinlich der Motor fast alleine.

Donkervoort und Bugatti? Dieser Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt. Denn zumindest auf den ersten Metern kann der GTO locker mit den üblichen Supersportwagen mithalten – und dass, obwohl der bei Audi eingekaufte Fünfzylinder aus seinen 2,5 Litern Hubraum in der schärfsten Variante gerade einmal 280 kW/380 PS schöpft. Doch bei einem Leistungsgewicht weit unter 2 Kilo pro PS reichen 380 PS und maximal 475 Nm allemal aus, um ganz vorne mitzufahren. Von 0 auf 100 jedenfalls braucht man im GTO nur 2,8 Sekunden, aber dafür jede Menge Zutrauen. Denn nur eine Handbreit über dem Asphalt und festgeschnallt in einer Rennzigarre, fühlt man sich ein bisschen wie Evil Kneevel, kurz bevor er aus einem Kanonenrohr geschossen wird. Da ist es dann auch kein Schaden, dass der Donkervoort nur 270 km/h schafft – denn bevor dem Auto die Kraft ausgeht, hat auch den tapfersten Fahrer längst der Mut verlassen.

Die Zeit dazwischen ist allerdings ein Genuss, wie man ihn in einem Auto heute nur noch selten erlebt. Echt, authentisch und direkt, ohne dass einem irgendeine Elektronik einen Strich durch die Rechnung macht: Die schwergängige Lenkung funktioniert fast intuitiv, in den Kurven haften die breiten Walzen auf den 17-Zöllern am Asphalt, als wären sie von Pattex und nicht von Pirelli oder Goodyear, der Motor klingt so schmutzig und voll Leidenschaft wie die Oranje-Schlachtenbummler bei der Fußball-Weltmeisterschaft und die Straßenlage ist schier unerschütterlich. Die Plackerei beim Einsteigen ist deshalb nach ein paar Metern schon vergessen und ans Aussteigen will man gar nicht mehr denken. So lange der Tank noch nicht leer ist, hört hier eh keiner auf.

Jetzt hofft Donkervoort, dass sich möglichst viele Kunden für die nackte Kanone aus Lelystad erwärmen können. Denn natürlich würde er lieber heute als morgen zurück zu jenen 100 Autos im Jahr, die er zu besseren Zeiten vor der Wirtschaftskrise mal gebaut hat. Platz in der Halle wäre noch, sein Personal könnte er ruck zuck aufstocken und mit ein bisschen Übung sollte die Mannschaft für den GTO auch keine 600, sondern irgendwann nur noch 400 Stunden brauchen.

Damit das kein ferner Traum bleibt, hat Donkervoort auch bei der Preisfindung Maß gehalten. Klar, Listenpreise zwischen 126.735 und 142.068 Euro sind verdammt hoch für ein Auto, das weniger Alltagsnutzen bietet als ein DAF aus den ersten Jahren. Aber sie sind ungewöhnlich niedrig für einen von Hand gebauten Sportwagen, der seltener zu sehen ist und schneller beschleunigt als die meisten Ferrari oder Lamborghini. „Aber bei uns zahlen sie nicht die Legende, sondern nur die Leistung“, gibt sich Donkervoort bescheiden. „Wir sind schließlich kein berühmter Sportwagenhersteller aus Italien sondern nur ein kleiner Autobauer aus Holland.“

Text und Fotos: Benjamin Bessinger/SP-X

Scroll to Top