Scheibenwischer: Innovationen und innere Werte hinter dem Äußeren

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Der Scheibenwischer stellt so etwas wie das unbeugsame gallische Dorf des Automobilbaus dar. Auf den ersten Blick jedenfalls: Denn die wahren Innovationen verbergen sich hinter dem äußerlich nahezu unveränderten Erscheinungsbild. Bald schon verschwinden Scheibenwaschdüsen von ihrem angestammten Platz in der Motorhaube und auch dem Verschleiß der Gummis wollen die Entwickler mit neuen Materialien an den Kragen – schon 2014 soll es losgehen.

Immer wieder suchten Techniker in der Vergangenheit Ersatz für den Wischer, immer wieder scheiterten sie. Das Wegpusten der Nässe mittels Gebläse blieb ebenso im Ansatz stecken, wie das Beschichten des Glases mit einer Versiegelung nach dem Vorbild der Lotus-Blume. Das Wasser sollte einfach abperlen, kein Wischer nötig – doch dauerhaft perlte nichts, der Wischer blieb. Mittlerweile ist der Scheibenwischer seit 110 Jahren im Einsatz. Im Jahr 1903 erfand die Amerikanerin Mary Anderson ein System, das Wasser und Schmutz von der Frontscheibe wischte – weil sie es satt hatte, dass Fahrer bei schlechtem Wetter die Frontscheibe aufklappen mussten, damit sie etwas sahen. Was sie ersann, bestand aus einem mit Gummi belegten hölzernen Wischarm, der mit einem Hebel im Innenraum verbunden war. Hebel bewegt, Wischer wischt über Scheibe. Fertig. Später wurde die Sache verfeinert. Mit einem elektrischen Antrieb etwa, oder der Einführung der Intervallschaltung in den Sechzigern.

Trotz regelmäßiger Suche nach Alternativen ist davon auszugehen, dass diese Kombination noch einige Jahrzehnte konkurrenzlos bleibt. Warum sollte man ein derart eingespieltes Team auch auflösen, meint Bosch-Mann Stephan Kraus – das menschliche Auge reinige seine Oberfläche schließlich schon seit Jahrtausenden mit vergleichbaren Mitteln.

Doch der Wischer verändert sich. Bereits 2014 ist mit der nächsten Generation an Neuerungen zu rechnen. Bei Bosch arbeitet man derzeit im Geheimen an einem neuen Material für den kritischsten Punkt des Scheibenwischers – das Wischgummi. Dort wird nämlich immer noch mit Oberflächen gearbeitet, deren Grafitanteil die Haltbarkeit begrenzt. Einfach gesagt, rubbelt sich die Oberfläche nach und nach ab, die Wischleistung lässt im gleichen Rhythmus ab.

Die neue Oberflächenbeschichtung soll den Prozess deutlich verzögern. Woraus sie besteht, daraus machen die Entwickler noch ein großes Geheimnis. Offiziell wird an der Sache noch mit Hochdruck gearbeitet. Tatsächlich aber will Bosch die Wischer mit der neuen Oberfläche bereits Anfang 2014 auf den Markt bringen. Was bei den üblichen Zyklen zwischen Entwicklung und Markteinführung bedeutet, dass das Projekt bereits abgeschlossen, man der Konkurrenz aber heute noch keine Hinweise geben will.

Auch eine andere Evolution des Wischers wird 2014 in einem neuen Serienmodell eines europäischen Herstellers Premiere haben. Im Mittelpunkt steht die Verlagerung der Wischwasserdüsen von der Motorhaube in die Nähe der Scheibe. Einen ersten Schritt in diese Richtung machte Mercedes 2012 mit der Magic Vision Control für den SL. Hier kommt das Wasser direkt aus dem Wischerblatt, wird durch winzige Öffnungen vor der Wischlippe auf das Glas gesprüht. Das soll laut Mercedes nicht nur die Reinigungswirkung verbessern, sondern auch bis zu 50 Prozent Wasser sparen.

Bosch will einen ähnlichen aber doch anderen Weg gehen. Bei dem sogenannten Jet Wiper werden jeweils zwei Wasserdüsen in den Wischerarm integriert. Auch hier wird als Wasser direkt vor das Wischgummi gespritzt, kommt aber eben nicht aus dem Wischerblatt. Dieser Unterschied erscheint gering, ist aber entscheidend: Die Konstruktion erlaubt den Einsatz herkömmlicher und damit vergleichsweise günstiger Wischergummis.

Die Verlagerung der Wasserdüsen von der Haube hin zum Wischer wird künftig in immer mehr Fahrzeugen zu finden sein. Ein Grund ist, dass die Autohersteller jeden noch so winzigen Platzgewinn im Motorraum begrüßen. Zum anderen sind die traditionellen Hauben-Düsen hinderlich, wenn es um Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern bei einem Unfall geht.

Unabhängig von Innovationen an den Wischerarmen gibt es auch eine Entwicklung, die sich dem Betrachter entzieht. Es geht um die Elektromotoren, mit denen die Wischanlagen überhaupt erst ihre Arbeit durchführen können. In der Vergangenheit kamen dazu vor allem sogenannte Rundläufermotoren zum Einsatz. Die laufen, wie der Name schon sagt, immer rund – für das Hin und Her des Wischers ist zusätzlich ein Gestänge notwendig.

Das Problem an der Sache: So ein Gestänge benötigt viel Platz – den möchten die Autobauer aber eben lieber für andere Dinge wie die Klimaanlage nutzen. Daher sind zunehmend Motoren im Einsatz, die den Wischer direkt oder mit deutlich weniger Gestänge von links nach rechts und wieder zurück bewegen. Aber auch das ist ein Zeichen dafür, dass es nicht um einen Ersatz für das Uralt-System Scheibenwischer geht, sondern um den Ausbau dieses gallischen Dorfes der Automobiltechnik.

Text: Spot Press Services/Heiko Haupt
Fotos: Bosch, Daimler/SP-X

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