Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Wenn in den Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen und der Privaten für ca. 90 Sekunden das Automobil mal wieder ein Thema ist, dabei aber mehr hauchdünn bestrumpftes weibliches Beinwerk als das Fahrwerk neuer Modelle gezeigt wird, dann wissen die Konsumenten vor der Glotze: es ist mal wieder Messe-Zeit. In irgendeinem Winkel dieser Welt – meist da, wo noch ziemlich Platz auf den Straßen ist – werden inmitten von Glamour-Girls und Glitzer-Welt Autos präsentiert, die die Welt bisher noch nicht gesehen hat und die sie zum Teil eigentlich auch gar nicht braucht.

So geschehen und gesehen beim traditionellen Genfer Frühjahrssalon in dieser Woche. Im Palexpo (Palais des expositions) klafft die Schere zwischen Fahrzeugen, deren Kraftstoff-Verbrauch irgendwann wohl mal gegen Null tendiert und den Über-Autos, die nur noch extrem teuer, extrem schnell, extrem auffällig und eigentlich auch extrem unnötig sind, so weit auseinander, dass man deren Ende kaum noch erkennen kann.

Da zeigt Volkswagen (zum wiederholten Male) der Welt sein ökologisches Gewissen und lässt seine Ingenieure an der Verbrauchsminderung herumbasteln, dass es eine wahre Freude ist. Der VW Xl 1 begnügt sich in der Tat mit weniger als einem Liter Diesel, um damit eine Strecke von 100 Kilometern zurück zu legen. Toll, was man da alles fabrizieren kann, wenn da nicht die Vorgabe wäre, dass man mit dem Verkauf solcher Autos nicht auch noch ein wenig Geld verdienen sollte.

Auf der anderen Seite der schönen und reinen Inkarnation der Unvernunft lässt uns die Traumfabrik aus Maranello teilhaben am Auftritt eines Autos, das nicht einmal 500 Menschen kaufen dürfen. Offiziell gilt das feuerrote Prachtstück als Nachfolger des „Enzo“ (nach dem Namen des Firmengründers). Ein Anspruch, der sich schlichtweg selbst ad absurdum führt. Denn ein solches Auto mit fast 1.000 PS, voluminösen Schmetterlingstüren und einem Verkaufspreis (ohne Steuern) von etwa einer Million Euro kann kein Nachfolger eines anderen Fahrzeugs sein. Im selbigen Falle hätte es nämlich einen Vorgänger dieses Monstrums auf Rädern gegeben. Und eben das ist in der Welt automobiler Rationalität nun einmal nicht vorgesehen.

„LaFerrari“ nennt sich die rollende, fauchende und brüllende Geld-Vernichtungsmaschine, die insgesamt 499 Mal gebaut wird. Angeblich sollen aber schon über 700 Vorbestellungen vorliegen. Es werde deshalb „sehr hart zu entscheiden sein, wer einen bekommen wird“, konstatierte Ferrari-Chef Luca di Montezemolo bei der Präsentation des Über-Autos in Genf in aller Bescheidenheit. Dass man dem Boliden neben jede Menge Formel-1-Technik auch noch zwei Elektromotoren (einen für den Vortrieb, einen für die Hilfsaggregate) spendiert hat, und der schöne Italiener damit eigentlich ein Hybride ist, macht allerdings noch lange kein Ein-Liter-Auto aus dem Ausbund von Leistung (genau 963 PS sollen es angeblich sein.)

Dennoch verbindet den kargen, stromlinienförmigen Minimalisten aus Wolfsburg und die „forza di Maranello“ mit dem 6,3 Liter großen Zwölfzylinder-Triebwerk ein gemeinsamer Gedanke ihrer geistigen Hintermänner: Es gilt, die Grenzen des Machbaren nach beiden Seiten hin auszuloten und sich an jenen Punkt heran zu tasten, von dem Menschen mit unbezähmbarem Erfindergeist behaupten dürfen: „Bis hierhin und nicht weiter.“. Ein bisschen wird es dann wie bei beim Roulette sein: „Rien ne va plus.“ – „Nichts geht mehr.“

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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