Jürgen C. Braun: Mein Tagebuch der Tour de France (2)

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Liebe Leserinnen und Leser,

der Einstieg in die Welt der Bergriesen begann für uns an diesem Wochenende mit einem besonderen Ereignis an einem besonderen Datum: Wir saßen am Sonntagabend – noch nach mehr als 700 Kilometer an diesem Tag in den Beinen und in den Reifen – bei einem Glas Bordeaux und geschätzten 25 Grad gegen 22.30 Uhr vor unserem kleinen, recht einfachen Hotel, als ein unüberhörbares Hupkonzert aus ein paar nicht eben mehr taufrischen Peugeot 405 oder Citroën Visa mit wehenden spanischen Fahnen daraus verkündete, dass die „Furia roja“, die „Rote Furie“, wohl vor wenigen Minuten Fußball-Weltmeister geworden war. Wir logierten in Sallanches, im Schatten des übermächtigen Mont Blanc wo wohl irgendwann einmal iberische Einwanderer ihre Spuren in Form von ein paar Abkömmlingen hinterlassen hatten.

Als wir an diesem Sonntagabend in dem kleinen Örtchen im Mont-Blanc-Massiv angekommen waren und der weiße Patriarch sich mit einem riesigen roten Feuerball, der am Himmel versank, in die Nacht verabschiedet hatte, war uns (wieder einmal klar), dass der landschaftlich beeindruckendste Teil unserer persönlichen Tour nun bevorstand. Die wirkliche „Tour der Leiden“ aber begann wohl auch an diesem Tage, an dem der Traum des großen Triumphators Lance Armstrong vom achten Tour-Sieg geplatzt war.

Am Montagmorgen machten wir uns mit unserem dunkelroten Peugeot 3008, der für die Dauer der Tour unsere eigene „Furio roja“ sein wird, auf in Richtung Morzine-Avoriaz, das seit Jahren ein fester Bestandteil der dreiwöchigen Rundfahrt ist. Bereits am frühen Morgen hatte es bei stahlblauem Himmel 28 Grad und auch das Feld der noch verbliebenen ca. 175 Fahrer war wohl froh darüber, dass an diesem Tag der erste Ruhetag anstand. Über die A 40, die wir von Genf aus kommend, genommen hatten, ging es hinein ins Massiv der „Haute Savoie“. In den Savoyer Alpen herrscht noch nicht jene feindliche Kahlköpfigkeit der Gipfel wie am Galibier oder am fürchterlichen Col de La Madeleine. Wenn man nicht wüsste, welche Strapazen sich hinter dieser phantastischen, blau-grün-weißen Wand aus purer Natur verbergen würden, könnte man fast ein wenig ins romantisierende Schwärmen über die Schönheiten unseres Erdballs kommen.

Unter dem Begriff „Ruhetag“ versteht der gemeine Radprofi im Übrigen etwas Anderes als unsereiner. Abgesehen davon, dass es neben den obligatorischen Pressekonferenzen der gesamten Equipe zu viel Pflege und Massage der geschundenen Muskeln kommt, steht auch ein wenig „Anschwitzen“ und „Ausradeln“ in gemächlichem Tempo an. Das sind dann so etwa 40 oder 50 Kilometer bei sengender Sonne, für die Radprofis so etwas wie ein bisschen „Aktivurlaub.“ Auch für uns journalistische Begleiter des großen Tour-Trosses wird es in den nächsten Tagen, darin sind wir uns einig, noch jede Menge „Aktivitäten“ und viel berufliche Hektik auf den beiden „Königsetappen“ in den Alpen geben. Immerhin begrüßte uns der Etapppenort mit dem unübersehbaren Hinweis: „Morzine-Avoriaz, portes du soleil“. Das Tor zur Sonne also. Aber darüber in den nächsten Tagen mehr.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

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