Rock around the clock: 24-Stunden-Rennen in Le Mans

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Der Klassiker im Department Sarthe ist wie die Namenskollegin am Nürburgring eines der Rennen mit weltweiter Aufmerksamkeit. Die Zahlen sind frappierend und faszinierend zugleich. Weit mehr als 200.000 Zuschauer – besser Motorsport-Fans – können beide Veranstaltungen mobilisieren. Wie viel es dann in der Spitze werden, hängt bei den Events vor allem von einem ab: Dem Wetter – es beeinflusst jene 15-20 Prozent, die sich kurzfristig entscheiden. Wahre Enthusiasten – in Frankreich und Deutschland gleichermaßen – lassen sich davon nicht abhalten, an die jeweiligen Kultstätten zu ziehen. Beeinflusst werden die „Spontan-Entscheider“, die den Veranstaltern neue Rekordzahlen verschaffen können, noch von weiteren Faktoren. Der Wichtigste ist dabei ein „Local-Hero, ein Lokalmatador, der im ersten Zeittraining ganz nach vorn fährt. In Le Mans geht dann vor dem Abschlusstraining gar nichts mehr. Stehender Verkehr nicht nur rund um die Strecke, sondern beinahe in der gesamten Stadt. Die Zuschauermassen „tragen“ dann förmlich ihren Favoriten auf die Pole Position – ein Erlebnis für alle Beteiligten.

Im Hintergrund werden dafür alle Register gezogen – nicht nur bei den Fans. Teams, Fahrer, die Reifendienste, alle beteiligten Technikpartner sind bis aufs äußerste angespannt. Sie werfen all ihr Können, Know-how, Engagement und finanzielles Potenzial in die Waagschale. Der Kampf um die Pole Position ist Emotion pur. Wer dies als Beobachter einmal live zwischen den Hauptkontrahenten erlebt, ist geprägt, besser infiziert mit diesem besonderen, einmaligen, kaum heilbaren Bazillus. Die Spannung ist greifbar, die Nerven sind angespannt, es knistert, es wird überreagiert, kurzfristige Lösungen gesucht, die sich „im Nachhinein“ als mehr Schein als Sein herausstellen. In der konkreten Situation werden sie aber immer noch eingesetzt, man versucht fast alles. Auch wenn in den letzten Jahren immer mehr Realismus und Strategie Einzug gehalten haben.

Konkret: Es wird inzwischen auch auf genau diesen besagten Punkt hingearbeitet – er wird vorbereitet, damit man, falls notwendig werdend, alle Details exakt abrufen kann. Und dann werden gegebenenfalls alle Register gezogen: Der schnellste „Kutscher“ des Teams kommt auf den Bock, sprich der Pilot kommt ans Lenkrad, der ziemlich sicher in der Lage ist, eine „Hammerrunde“ auf den Asphalt zu zaubern.

Reifen, die genau für diesen Zweck vorgesehen sind, werden vormontiert und vorgeheizt, punktgenau zum richtigen Moment zum Renner gebracht. Exakt dann, wenn die wichtigen Faktoren wie Lufttemperatur und damit deren Sauerstoffgehalt sowie beispielsweise die Anzahl und Position von weiteren Fahrzeugen auf der Strecke am günstigsten erscheinen. Auch das jeweilige Fahrzeug Set-up ist genau für diese eine Runde genau darauf ausgerichtet. Alle auch noch so kleinen Features, Optionen und Wünsche des Fahrers werden berücksichtigt, damit er gegebenenfalls die letzte tausendstel Sekunde auf der Strecke realisieren kann. Wie in den vorausgegangenen, hinterher meist unzähligen Simulationen und Testkilometer zigmal exakt ausgelotet. Sie werden jetzt für den Ritt auf der Rasierklinge abgerufen.

In Le Mans gibt es dafür – wie auch auf jeder anderen Rennstrecke – ganz besondere „Spezialisten“. Die beiden derzeitigen Hauptkontrahenten haben für den Kurs an der Sarthe „natürlich“ ihre Speerspitzen. Audi setzt dabei auf Rinaldo „Dindo“ Capello und Allan McNish. Titelverteidiger Peugeot vertraut dabei vor allem auf die Künste von Sebastien Bourdais. Sie dürfen – aber auch müssen – dann das allerletzte aus „ihren“ Renner herauskitzeln; aus dem Gesamtkonzept.

Auf dem rund 13,6 Kilometer langem Kurs, 200 Kilometer westlich von Paris, sind die Geraden lang, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit hoch und zeigen sich die bekannten Kurven ausgesprochen „tricky“. Zwar erreicht man heute nicht mehr die Spitzenwerte, die in die Annalen eingegangen sind. Die „Hunandiere“, die mit ihrer ursprünglichen Konfiguration „voll ging“, und einst Spitzengeschwindigkeiten von über 400 km/h ermöglichte, ist mit zwei Schikanen entschärft.

Nichtsdestotrotz hat die Strecke nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Jetzt ist eben mehr „Bums“, Drehmoment gefragt, um Traumrunden zu ermöglichen; trotz oder gerade wegen der Reglementänderungen, mit denen man Diesel und Benziner noch weiter angleichen will. Für die jeweiligen Piloten eine spannende, zugleich ungemein verantwortungsvolle Aufgabe, die so schnell „vergeigt“ werden kann, wie ein Elfmeter in der 89. Minute.

Für alle Beteiligten gilt dabei eins: Diese rund 3,5 Minuten nach der „Outlap“ sind die spannendsten überhaupt. Diese Atmosphäre zieht alle an und um die Strecke in ihren Bann. Dies gilt für Le Mans und den Nürburgring gleichermaßen. Jeder erlebt sie dabei anders, beschreibt sie im Nachhinein auch anders, auf seine ganz persönliche Art. Dieses Prickeln, die Vielzahl von Details sind kaum zu beschreiben, man muss sie live vor Ort selbst erleben. Und wer einmal infiziert ist, kommt jedes Jahr wieder. Weil man jedes Jahr wieder neues entdeckt, neues erlebt, so dass die Jahre zuvor keine Rolle spielten oder einfach übersehen wurden.

Dies betrifft auch die Medien-Armarda, die zum Teil versucht, eben diese Punkte, immer neue Details zu finden, zu begleiten und anschließend zu beschreiben. Auch für sie bleibt es ein persönlicher, subjektiver Eindruck. Eine objektive Beschreibung ist hier nicht möglich, wäre in diesem Fall eine bloße Nachricht, die die eigentliche Faszination begleitet.

Obwohl auch die Zahlen, Daten und Fakten, weil meist mit entsprechenden weiteren Hintergründen versehen, dazu beitragen. Zudem sind sie die Basis für die eigentliche Entscheidung an so einem Rennen teilzunehmen. Eines darf man bei aller Faszination nicht vergessen: Entstanden ist das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1901 vor dem Hintergrund, die Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und die Technologie des damals noch jungen Automobils unter Beweis zu stellen. An dieser Grundkonzeption hat sich bis heute nicht viel geändert. Und vor diesem Ausgangs-Aspekt muss man ebenfalls die jährlich neuen Ausgaben, nicht nur der Langstreckenrennen, betrachten.

Entscheidend wird dabei sein, die richtige Balance zwischen den genannten Faktoren zu finden, damit sowohl in der Spitze wie in der Breite, in Le Mans wie am Nürburgring, auch in den kommenden Jahren Veranstaltungen möglich sind, die alle Belange „elegant unter einen Hut“ bringen, statt kurzsichtige, ausschließlich kommerzielle Interessen weiter in den Vordergrund treten zu lassen. Tragfähige Konzepte sind das Thema, auf das sich alle Beteiligten verständigen müssen. Nur so können die anstehenden Herausforderungen nicht nur gelöst, sondern Wege gefunden werden, die auch mittel- und langfristig den „zweifachen“ Rock around the Clock möglich machen.

Text und Fotos: Bernhard Schoke

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