Liebe Leserinnen und Leser von www.kues.de,

obwohl uns die sogenannten Experten für 2010, das Jahr 1 nach der Abwrackprämie, rund eine Million weniger an verkauften Autos prognostizieren, werden wir Autojournalisten auch heuer wieder über etwa 100 Neuerscheinungen auf dem Markt zu berichten haben. Dabei geht es nicht immer nur um völlig neue Fahrzeuge, sondern auch um die zweite oder dritte Generation eines Erfolgsmodells, das immer wieder modifiziert wird oder auch um neue Motoren oder um optische Retuschen. Doch das Spektrum wird nicht weniger interessant werden, nur weil der Absatz in diesem Jahr angesichts einer recht großen Marktsättigung im Kompaktwagenbereich geringer als in den Vorjahren ausfallen wird.

Die Zeit Ende Januar/Anfang Februar ist immer der Raum für Spekulationen zwischen den ersten beiden großen Automobilmessen des neuen Jahres. Die Amis haben ihr Highlight, die Autoshow in Detroit, bereits hinter sich, wir Europäer warten mit Spannung auf die ausgestellten Exponate des Genfer Frühjahrssalons, der Anfang März zeigt, was uns an besonders interessanten Neufahrzeugen und technischen Innovationen erwartet. Viele Hersteller füttern uns Berichterstatter in diesen Wochen bereits mit dem ersten Text- und Bildmaterial, um ihre Produkte schon im Vorfeld der Messe ins rechte Licht und damit auch in den Fokus des Verbrauchers zu rücken.

Auf ein Auto bin ich, bevor die Koffer für Genf gepackt werden, ganz besonders gespannt: Auf das erste SUV aus dem Hause Dacia, ein Fahrzeug mit dem die rumänische Renault-Tochter nun auch in den gehobenen Markt der Offroad-Fahrzeuge geht. Die Frage wird sein, ob sich der erfolgreich praktizierte Pragmatismus der beiden Modellreihen Logan und Sandero nun auch beim Dacia Duster – so der Name des Rumänen-Kraxlers – fortsetzen wird.

Zumindest eines kann man ihnen wahrhaftig nicht vorwerfen, den Marketingstrategen im Hause Renault. Dass sie keine Einfälle hätten bei der Art und Weise, wie sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit den Boden bereiten für ihre Fahrzeuge. Oder zumindest für den ihrer rumänischen Tochtergesellschaft Dacia. Créateur d’Automobiles nennt sich der ehemalige Staatskonzern der Regie Renault auch selbst gerne. Créateur d' idées könnte sich ruhigen Gewissens und im Brustton der Überzeugung auch die Denkfabrik der Marke mit der Raute nennen. Denn die Art und Weise, wie die Entscheider aus der Werbebranche die Billigheimer aus dem Lande Draculas nicht nur anpreisen, sondern sie hier zu Lande auch hof- und salonfähig machen, darf ohne Abstriche mit dem Mäntelchen der Genialität bedeckt werden.

Im ersten Werbespot für die Dacia-Modelle Logan und Sandero waren die Helden linken Revoluzzertums wie Karl Marx, Lenin, Che Guevara und co. die Überbringer der Botschaft, dass es bei derlei Autos des selbst gewählten Verzichts und brachialer Enthaltsamkeit um nichts anderes als um die Befriedigung automobiler Grundbedürfnisse geht. Nummer zwei des medialen Werbefeldzuges hat sich Deutschlands wohl berühmteste und folgenschwerste Pressekonferenz der nationalen Geschichte als Bühne auserkoren.

Jene Ostberliner PR-Posse aus dem Jahre 1989, die letztendlich zur vorschnellen Öffnung der innerdeutschen Grenze und damit auch zum Mauerfall führte, wird mit wohlfeiler Karikatur und Ironie in einem 30 Sekunden währenden Fernsehspot detailgetreu nachgespielt. Zu sehen ist auf der Bühne der Dacia-Vorstand mit einer verblüffend naturgetreuen Imitation des damaligen DDR-Sprechers Günter Schabowski, der eine neue, günstigere Preisregelung verkündet. Bis ins kleinste Detail ist alles dem historischen Vorbild von 1989 nachempfunden. Vom gelben Pullover des Kameramannes, über den auf dem Podest kauernden Journalisten, bis zu dem behäbigen Habitus des Darstellers. In der TV-Werbung des Jahres 2010 verkündet das Günter-Schabowski-Imitat auf Bürokratendeutsch die Preissenkung, während es vor mehr als 20 Jahren um die unmittelbaren und unbegrenzten Reisefreiheiten der DDR-Bürger ging.

Wer zu solchen genialen Einfällen bei der Bewerbung seiner Fahrzeuge fähig ist, dem dürfte mit Sicherheit auch nicht bange sein, wenn er automobiles Neuland mit einer Modellreihe betritt. In der Hoffnung, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, an diesem verschneiten letzten Januar-Wochenende mit dem richtigen Fahrzeug und auch der angemessenen Bereifung für diese Witterung unterwegs sein werden, wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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