Das Jahr 2010 steht vor der Tür – für Michelin in Deutschland ein Jubiläumsjahr: Vor 100 Jahren erschien die erste Ausgabe des MICHELIN-Führers Deutschland, damals noch zusammen mit Reisetipps für die Schweiz. In der Folgezeit erlebte der Band eine wechselvolle Geschichte, die den Wandel von Reisegewohnheiten, Mobilität, aber auch in Hotellerie und Gastronomie widerspiegelt.
Als 1910 der MICHELIN-Führer Deutschland und Schweiz herauskommt, ist sein Konzept in Frankreich bereits seit zehn Jahren etabliert. André und Edouard Michelin wollen mit dem Guide Michelin die Verbreitung des Automobils fördern und dem Reifenmarkt Impulse geben. Dabei stoßen sie in eine Marktlücke. Auf deutschen Straßen verkehren 1910 bereits 50.000 Kraftfahrzeuge. Doch die Service-Infrastruktur für Automobilisten ist dünn. Die Straßen sind vielfach weder beschildert noch asphaltiert und die Fahrzeuge sehr anfällig. Ein praktischer Reisehelfer wie der MICHELIN-Führer kommt hier wie gerufen.
Entsprechend deutlich unterscheidet sich der MICHELIN-Führer von 1910 von den heutigen Ausgaben. Das den Herren Automobilisten gewidmete Buch enthält detaillierte Ratschläge zu Reifenwechsel und -reparaturen. Hinzu kommen die Namen von Werkstätten, Batterieladestationen, Benzin- und Öldepots. Auch Unterkünfte listet der erste MICHELIN-Führer auf und erwähnt, ob das Hotel eine Reparaturgrube für Kfz bietet.
Bereits 1910 bedient sich der MICHELIN-Führer zur Information der Leser eingängiger Symbole. Während sie bei den Hotels anfangs Aufschluss über heute selbstverständliche Komfortmerkmale wie Bad, Zentralheizung und elektrisches Licht geben, verweisen sie später auf Annehmlichkeiten wie Telefon oder Fernseher in den Zimmern. Die Hotelauswahl nimmt sich im Vergleich zu heute bescheiden aus. Neben den Preisen für Übernachtung und Mahlzeiten liefert der Band auch Angaben zu den Verpflegungskosten für den Chauffeur. Restaurantempfehlungen finden sich 1910 im MICHELIN-Führer noch nicht. Sie tauchen erstmals in der Frankreich-Ausgabe 1923 auf.
Seinem hoffnungsvollen Start folgt das jähe Ende: 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Deutschland und Frankreich werden Kriegsgegner. Für die deutsche Ausgabe bedeutet dies das Aus.
Es dauert bis 1964, ehe wieder ein MICHELIN-Führer Deutschland erscheint. Deutschland ist mittlerweile ein geteiltes Land. Die Bundesrepublik im Westen ist geprägt vom Wirtschaftswunder der Wiederaufbaujahre und eine treibende Kraft der europäischen Einigung. Die Deutsche Demokratische Republik ist hinter der bewachten Grenze fast unerreichbar.
Auch der MICHELIN-Führer hat sich gewandelt: Zwar gibt jeder MICHELIN-Führer Deutschland bis zum Jahr 2001 Tipps und Empfehlungen rund um das Thema Reifen, doch hat sich der Schwerpunkt verschoben. Wie in der französischen Ausgabe liegt der Fokus jetzt auf Hotels und Restaurants. Der moderne Reisende ist mobiler geworden und braucht in erster Linie Informationen darüber, wo er gut übernachten, gut essen kann und was ihn vor Ort erwartet.
Insgesamt ist das Reisen sicherer und sind die Reifen haltbarer geworden. Dazu trägt Michelin durch die Erfindung des Reifens mit Drahtkern 1920 und des Radialreifens 1946 ganz maßgeblich bei. 1965 folgt mit dem XAS der erste Stahlgürtelreifen mit asymmetrischem Aufbau. Die Innovationen tragen dazu bei, die Kilometerleistung enorm zu erhöhen und Reifenpannen viel seltener zu machen.
In der Bundesrepublik und Westeuropa ist Wirtschaftswunder-Zeit, es herrscht Aufbruchstimmung. Die Ära der Massenmotorisierung beginnt. Der bundesdeutsche Pkw-Bestand steigt von 539.853* Fahrzeugen 1950 auf 4.489.407* Autos 1960. 1965, ein Jahr nach dem Neustart des MICHELIN-Führers Deutschland, sind es bereits 9.267.432* Fahrzeuge. Mit der Verbreitung des Automobils ändert sich das Freizeitverhalten. Urlaubsfahrten und Wochenendreisen im eigenen Auto werden populär. Auch Geschäftsreisende gehen jetzt immer öfter im Dienstwagen auf Tour.
* Angaben Statistische Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, veröffentlicht im November 2009.
Nach Jahren der Hungerküche im Nachkriegsdeutschland sind immer mehr Wohlstandsbäuche zu sehen. Die Menschen erfreuen sich am Essen. Es ist die hohe Zeit der Hawaii-Garnitur, der Gast erwartet üppige Gerichte; Sauce béarnaise gilt als Inbegriff von Kochkunst. Nur in Süddeutschland gibt es einige wenige Spitzenhäuser, in denen Gourmets auf ihre Kosten kommen.
1966 erhalten die ersten 66 Häuser in der Bundesrepublik einen Stern für eine besonders gute Küche. Bereits 1970 listet der MICHELIN-Führer 189 Adressen mit einem Stern. Höhere Wertungen erreicht in Deutschland allerdings noch kein Haus. Zwischen 1970 und 1990 gelingt der deutschen Gastronomie der internationale Durchbruch. Inspiriert von der französischen Nouvelle Cuisine, erkochen sich 1974 sieben deutsche Spitzenköche erstmals zwei Sterne.
1980 erhält mit dem Münchner Restaurant Aubergine von Eckart Witzigmann das erste Haus in Deutschland die Höchstwertung von drei Michelin Sternen. 1990 empfehlen die Michelin Inspektoren schon drei Restaurants mit drei Sternen, 14 Adressen mit zwei Sternen und 187 Betriebe mit einem Stern. Damit hat sich Deutschland als Gourmet-Ziel von Rang etabliert.
Parallel zum Niveau in der Gastronomie steigen in den 1970er- und 1980er-Jahren der Komfort in der Hotellerie und die Ansprüche der Reisenden. Diese Veränderung spiegelt sich auch in den Piktogrammen des MICHELIN-Führers: Die Symbole für Etagenbad, Etagendusche und Nur fließend kaltes Wasser verschwinden. Dafür erscheinen erstmals Zeichen für Fernsehen im Zimmer, Sauna und Konferenzraum. Auch den behindertengerechten Ausbau mancher Häuser hebt der praktische Reisebegleiter jetzt hervor.
In den 1980er-Jahren hat sich der MICHELIN-Führer endgültig als Hotel- und Gastronomieratgeber in Deutschland etabliert. Mindestens ebenso erfolgreich sind die 20 Jahre zwischen 1970 und 1990 für Michelin als Reifenhersteller. Mit Innovationen wie dem zx- bzw. dem zxz-Reifen, der sich zum meistgefahrenen Stahlgürtelreifen der Welt entwickelt, und der wegweisenden Rad-Reifen-Kombination TRX von 1975 trägt das französische Unternehmen dazu bei, das Reisen sicherer und komfortabler zu machen. Der Pkw-Bestand steigt in Deutschland zwischen 1970 und 1990 von 13.941.079* auf 30.684.811* Fahrzeuge. Mit der Wiedervereinigung erlebt die Motorisierung nochmals einen kräftigen Schub. Ende 2009 sind in Deutschland 41.321.171* zugelassene Pkws unterwegs.
Angesichts des wachsenden Verkehrsaufkommens gerät in den 1990er-Jahren zunehmend die umweltschonende Mobilität in den Blickpunkt. Als wichtigen Beitrag bringt Michelin 1992 mit dem MICHELIN Green X die erste Generation grüner Reifen auf den Markt. Seit 2007 ist mit dem MICHELIN ENERGYT Saver bereits die vierte Generation rollwiderstandsarmer Reifen mit der unverwechselbaren Green X-Kennung an der Reifenflanke auf dem Markt. Bis heute senken die Leichtlaufpneus von MICHELIN weltweit den Kraftstoffverbrauch und tragen so dazu bei, die Umwelt hinsichtlich des CO2 Ausstoßes zu entlasten.
Unmittelbar nach dem Mauerfall am 9. November 1989 machen sich die Gastronomietester auf kulinarische Entdeckungsreise Richtung Osten. In Dresden küren sie 1995 das erste 1-Stern-Haus in den neuen Bundesländern. 2009 folgt in Leipzig der erste 2-Sterne-Betrieb.
Auch bei den Piktogrammen bleibt der MICHELIN-Führer auf der Höhe der Zeit: Darf in den 1990er-Jahren für Geschäftsreisende der Hinweis auf einen Modem- und Faxanschluss im Zimmer nicht fehlen, sind heute Symbole für Internetzugang mit DSL oder W-LAN an seine Stelle getreten. 1997 führt Michelin mit dem Bib Gourmand eine neue Empfehlung für eine gute Küche ein, die kulinarische Genüsse für kleinere Budgets bietet. Für das Hotelgewerbe verleiht Michelin 2003 erstmals den Bib Hotel, der gute Übernachtungsmöglichkeiten zu moderaten Preisen kennzeichnet. Namensgeber ist in beiden Fällen das Michelin Männchen, das auf Französisch Bibendum, kurz: Bib, heißt. Seit 2003 findet ebenfalls der Trend zu Wellness-Urlauben durch ein entsprechendes Zeichen seinen Niederschlag im MICHELIN-Führer.
Quelle: MICHELIN Presse