Buchtipp der Woche

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Leonore Gottschalk-Solger/Anke Gebert: Die Strafverteidigerin. Kindler Verlag (bei Rowohlt); 19,90 Euro.

Übertriebener Gerechtigkeitssinn wurde ihr schon mal unterstellt. So weigerte sich Leonore Gottschalk-Solger als junge Juristin, einen Mann straffrei ausgehen zu lassen, der am Steuer seines Autos betrunken in eine Kontrolle geraten war. Freilich – dass der Ertappte zu den Honoratioren des Ortes gehörte, rechtfertige noch keine Straffreiheit, und an dieser Überzeugung hielt die spätere Star-Verteidigerin konsequent fest.

In 40 Jahren Tätigkeit als Juristin hat sie immer mal wieder Schlagzeilen gemacht, vor allem dann, wenn ausgerechnet Rotlicht-Größen, deren Anblick selbst abgebrühten Männern Angst einjagen konnte, sich von Leonore Gottschalk-Solger verteidigen ließen. Und nur von ihr.

Ist sie, die schon von außen zierlich und zerbrechlich wirkt, besonders leicht um den Finger zu wickeln und deshalb als Strafverteidigerin besonders von solchen gefragt, die wegen feststehender Schuld gar nicht so arg im eigentlichen Wortsinne verteidigt werden können und es nur noch um die Höhe des Strafmaßes geht? Ganz im Gegenteil, sie hält nur an ihrer Überzeugung fest, dass jedem Menschen, der straffällig geworden ist, ein faires Verfahren zusteht. Fair – das heißt, keine Begünstigung oder Verharmlosung. Aber auch: keine Vorverurteilung, und seien die Schlagzeilen zu einem Prozess auch noch so eindeutig Partei ergreifend.

Die Aussicht auf besonders hohe Honorare kann bei der Berufswahl nicht den Ausschlag gegeben haben. Sie sei nicht besonders geschäftstüchtig, befindet ihr – inzwischen längst erwachsener – Sohn, und wie er das schreibt, wirkt es tatsächlich wie eine Anerkennung. Wenn es ihr um Gerechtigkeit ging, nahm sie nicht wenige Mandate genau deshalb an – selbst wenn es von Anfang an unwahrscheinlich war, überhaupt ein Honorar dafür erhalten zu können.

Das beeindruckendste Beispiel aus der Vielzahl der geschilderten Prozesse ist sicherlich jener Mann, der wegen der Tötung eines Nebenbuhlers angeklagt war. Straffreiheit konnte es nicht geben, da die Tat erwiesen war, aber was war der Hintergrund? Die Verteidigerin arbeitete ihn in Detailarbeit auf, und das Ergebnis war erschütternd: Der Mann, als junger Mensch im Krieg aufgewachsen, kannte es nicht anders – gegen Unrecht wehrt man sich mit einem tätlichen Angriff. Jahrelange Prägung hatte ihres zum Tathergang beigetragen.

So wird aus den Erinnerungen der mittlerweile über 70-jährigen Straverteidigerin zugleich ein spannendes Stück deutscher Rechtsgeschichte.

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