Erste Erfahrungen: Audi R8

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Ist es sein blütenreines, unschuldig perlendes Weiß, oder diese unglaublich aggressive, angriffslustige, Raubkatzen-ähnliche Erscheinung, die Schuld daran ist, dass ihn jeder anstarrt? 1,25 Meter hoch nur, die in Richtung Vorderachse geneigte Kabine mit flachen Leuchtdioden unterlegt, wie ein perfekt geschwungener Lidstrich. Ein Super-Sportwagen, der permanent auf dem Sprung scheint. Ein Fahrzeug, das voyeuristische Neigungen befriedigt und sein Innerstes, den wuchtigen Achtzylinder, unter einer gläsernen Vitrine anpreist. Emotional, exhibitionistisch und dennoch gleichermaßen mechanisch kühl. Fast schon erotisch provozierend, pure Leidenschaft eingefangen in den Kontext mathematischer und physikalischer Parameter. Die perfekte Synthese von Form und Formeln.

425 PS, die die zivile Version des Le-Mans-Siegers auf 300 km/h beschleunigen (Gott sei Dank liegt der Nürburgring nicht weit von meinem Heimatort) und dennoch einen unglaublichen Komfort bieten. Komfort an Platz, an Straßenlage, an Fahrwerks-Modifikation, an Alltagstauglichkeit. Dieser Audi R8 ist keine Krach-Brüll-Beiß-Zisch-Prolo-Tüte, sondern ein wunderschön vernehmlicher Sportwagen, mit dem auch der A8-Freund in Nadelstreifen zum Börsenparkett chauffiert, ohne dabei dem eigenen Bandscheiben- und Gelenkapparat unwiderrufliche Schäden zu zu fügen. Ein Innenraum, in dem Rennatmosphäre und feinster Luxus im ständigen Geben und Nehmen miteinander harmonieren.

Welche Wunder der scheinbar verkehrten Welt. An der Tankstelle entsteht ein Volksauflauf, bieten Kollegen und Bekannte bereitwillig den Schlüsseltausch an und kein Mensch ächtet Dich als den ultimativen Regenwald-Vernichter, obwohl dieses rollende Objekt der Begierde 349 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft bläst, und alle 100 Kilometer so um die 15 Liter feinstes Super Bleifrei zu sich nimmt.

Nach einem Druck auf den schwarzen Starterknopf erhebt der Achtzylinder aus vier mächtigen Endrohren erstmals seine gutturale Stimme. Auch er klingt auf den ersten Ton ein wenig erleichtert. Zunächst noch kein wohlklingender Tenor der Drehmoment-Klaviatur, sondern die Stimme etwas belegt. Ein wenig heiser. So lange, bis irgendwann die richtige Temperatur des Metalls und der Betriebsstoffe erreicht ist und die unvermeidliche Armada der Akustik besänftigt wird vom wohltuenden Legato der Trockensumpfschmierung.

Auf den ersten (Kilo-)Metern gibt sich der R8 im Automatic-Modus ein wenig zuckelnd und ruckelnd (wohl auch wegen des Allradantriebs), bis man ihm die Freiheit des manuellen Betriebes (per zweiter Schaltkulisse in der Mittelkonsole oder per Lenkradwippen) zugesteht. Zugestanden, es ist zunächst nicht ganz einfach, die richtige Dosierung zwischen feinfühliger, leichtfüßiger, liebevoller Massage des Gaspedals und brachialer Gewaltverherrlichung des Fußraums zu finden. Heavy-Metal-Freunde werden Letzteres bevorzugen, bringen sich jedoch selbst um den sinnlichen Genuss des wohltemperierten Ventilspiels.

Übrigens: Wer einmal eins mit dieser unglaublichen Mischung aus Löwe und Libelle, aus Angriff und Anmut, aus Eleganz und Eruption sein will, dem seien die frühen Morgenstunden ans Herz gelegt. Nur eines sollte man zur ultimativen Steigerung der Ekstase beim fränkischen Pendant zum Lamborghini Gallardo in diesem Fall tunlichst vermeiden: Die Augen zuschließen.

Jürgen C. Braun

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