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junyq: Augen Blicke. Urban/Universal

Die boomende Szene der Slam Poetry bekommt einen entscheidenden Ansporn: Poesie und Musik. Melancholie und Fröhlichkeit. Empathie und Stärke. – All das verknüpft der Bochumer Poet 'junyq' auf seinem Debüt.

Poesie und Musik. Melancholie und Fröhlichkeit. Empathie und Stärke. All das verknüpft der Bochumer Poet junyq auf seinem Debüt Augen Blicke zu einem einzigartigen Hörerlebnis. Schubladen bleiben hier geschlossen, denn die sonst üblichen Genrebegriffe beschreiben diesen Stil nicht, den junyq Trottoirpoesie nennt. Er setzt seine Beats mit Worten. Die Reime bestimmen den Flow. Seine Sprache richtet sich gleichermaßen an Herz und Kopf. Die Musik dagegen schwingt mit und nimmt Stimmungen auf. Reime suchen, Rhythmen bilden, Stimmungswechsel, Traurigkeit, die Suche nach Metaphern, die euch packen für die Ewigkeit lautet ein zentraler Vers in Es ist junyq. Oder wie es direkt zu Beginn von Augen Blicke heißt: Dieses Album ist geschrieben mit kühlem Kopf, heißem Stift und lachendem Herzen. junyq hat eine Mission: Er will die Schönheit der deutschen Sprache der Gegenwart erkunden.

junyq wirkt entwaffnend, wenn er in Glaube eine Quelle des Lebens findet und in Stärker als Angst auf das zukünftige Leben seines Sohnes blickt. Er ist ein kraftvoller Optimist, der an das Gute im Menschen, in diesem Land und auf der Welt glaubt ohne dabei die Augen vor dem Schlechten zu verschließen. In Brüder lotet er die Hochs und Tiefs unteilbarer familiärer Bande aus, begleitet nur von Pianotönen. Eine Beziehung ganz besonderer Art pflegt er zu seiner Heimat. Er blickt aus dem Fenster und betrachtet das alte Revier im Bochumer Stadtteil Riemke. Er führt uns wiederholt mitten hinein ins Ruhrgebiet. Nur hier konnte er diesen ganz speziellen Blick entwickeln. Auf den Bochumer Strassen liegen seine Wurzeln, zu denen er immer wieder zurückkehrt. Ein reiches Spektrum also, mit dem junyq nebenbei die boomende Poetry Slam-Szenerie in Deutschland aufrollt. junyq schrieb bereits als Teenager Texte, doch wusste damals genau, dass seine Zeit noch nicht gekommen war. Heute lässt er in Poststraße die Bilder, die sich über die Jahre in seinem Bewusstsein eingebrannt haben, noch einmal Revue passieren: In einem Hinterhof arbeiten Männer, die rostiges Eisen stapeln und der Getränkeladen bekommt ´ne Lieferung Red Bull Dosen. junyq hat in dieser so normal wirkenden Welt die Tinte der Dichter gefunden.

Nach dem Abitur ging junyq ohne etwas in der Hand nach London. Allein auf sich gestellt, fand er nach wochenlanger Arbeitssuche schließlich einen Boten-Job beim Plattenlabel Logic UK. Ich war damals zwar nur eine ganz kleine Nummer, doch London hat einen Kreativitätsschub in mir ausgelöst erzählt junyq. Ich habe hautnah mitbekommen, wie die Popszene funktionierte und schrieb weiter Texte. Gleichzeitig führte das schnelle, aufreibende Leben mit viel Arbeit und wenig Schlaf zu einer allgemeinen Ruhelosigkeit. Neue Ziele schwirrten durch seinen Kopf. Und nachdem das nötige Kleingeld zusammengespart war, ging es von London aus auf große Weltreise. Er wurde zum passionierten Surfer und besuchte einschlägige Reviere auf allen Kontinenten, feierte am Strand und reimte seine Texte zum Sound der Straßenmusiker. Eine Phase, die junyq sehr geprägt hat. In Australien schließlich, schrumpfte seine Reisekasse bedenklich. Der letzte Fünfzig-Dollar-Schein war angebrochen, als ihn in einem Internetcafé in Sydney eine unerwartete Anfrage erreichte: Ob er nicht eine A&R-Stelle bei einer deutschen Plattenfirma übernehmen wollte, erkundigte sich ein Kollege aus Londoner Tagen. Gesagt, getan. junyq etablierte erst in München, dann in Bochum das Raplabel Subword und hatte nun hautnah mit der heimischen Reimschule zu tun. Ich habe mich in die kreativen Prozesse meiner Crews nicht eingemischt sagt junyq. Meine eigenen Textarbeiten und die HipHop-Lyrics meiner Jungs liefen strikt getrennt. Die wussten selber genau, was sie wollten. Aber auch das Dasein als Musikmanager war nur eine Zwischenstation. Er übergab die erfolgreiche Labelarbeit im Sommer 2005 und ging wieder nach Australien. Surfen in Byron Bay, Texte schreiben und erste Auftritte in englischer Sprache bei Poetry Slams. junyq stellte sich nun erstmals einem größeren Publikum. Gleichzeitig reifte die Idee zu Trottoirpoesie in seinem Kopf. Das erste Album sollte zum Ausgangspunkt eines Labels für neue, deutsche Straßenpoesie werden.

Augen Blicke, das im Herbst 2006 nach seiner Rückkehr aus Australien entstand, ist ein Album mit Seele, mit einer deutschen Seele, die warmherzig und selbstbewusst wirkt. Es verbindet alltägliche Beobachtungen und introspektive Einblicke und ist geprägt von einfühlsamen Passagen. Wenn er etwa das harte Los eines Vaters beschreibt: Papa muss stark sein, doch spürt wie seine Kräfte schwinden – lässt sich nichts anmerken und hofft, dass die Schmerzen verschwinden. Die Heimatstadt Bochum bekommt in Die Bezauberndste einen Kranz aus Worten geflochten, die mit dem nicht immer einfachen Erbe der industriellen Vergangenheit spielen. Dann wiederum öffnet er in gleich drei Stücken seine Wellenreiter Tagebücher, die die endlosen Tage am Meer zelebrieren. Eine Hymne für die Surfer-Gemeinde. Poeten des Trottoirs schließlich ist zusammen mit Maras entstanden. Ein 21jähriger Poet mit spanisch-algerischen Wurzeln. Mit ihm ist das kommende Album auf Trottoirpoesie geplant, das mittelfristig zur ersten Adresse für unsere Vorstellung von Poesie-&-Musik-Fusion ausgebaut werden soll.

Die 16 Stücke auf Augen Blicke sind eine Bilanz jahrelanger Textarbeiten. Die Musik wurde nachher für die Texte gemacht erklärt junyq die Produktionsweise. Die Produzenten Rizbo und Jimmy Ledrac haben viel HipHop gemacht, haben aber ein sensibles Gehör und können sich auf verschiedene Stimmungen einlassen. Stärker als Angst hat er dem französischen Komponisten und Musiker Yann Tiersen (u. a. Amelie und Good Bye Lenin Soundtrack) vorgestellt, dem der Text so gut gefiel, dass er seine Komposition Comptine d'un autre été für die musikalische Untermalung zur Verfügung stellte.

Mit Augen Blicke bekommt die boomende Szene der Slam Poeten in Deutschland eine völlig neue Facette. Ich bin oft in Frankreich und habe die französische Reimszene kennen gelernt. Der 'slameur' Grand Corps Malade ist dort ein großer Star, der auch live neue Standards gesetzt hat. Soweit sind wir hier natürlich noch nicht. Aber es ist ein großer Ansporn für uns mit 'Trottoirpoesie' auch hierzulande etwas komplett Neues zu schaffen.

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