CD-Tipp der Woche

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KEREN ANN – Keren Ann
(Delabel/EMI)

Keren Ann ist eine der wohl außergewöhnlichsten Musikerinnen, die Frankreich in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Typisch französisch ist an ihrem neuen Album gleichwohl so gut wie nichts. Ohnehin ist die 33-jährige Sängerin und Songwriterin, die ihre Songs wahlweise auf dem Klavier oder auf der Gitarre komponiert, von Haus aus Kosmopolitin. Die Tochter eines russischstämmigen Israeli und einer Niederländerin mit indonesischen Wurzeln wuchs in Paris auf und sorgte von dort aus bereits im Jahr 2000 über Frankreich hinaus für Furore. Ihre künstlerische Liaison mit Benjamin Biolay machte auch hierzulande Schlagzeilen. Schon mutmaßte man ein Traumpaar vom Schlage Serge Gainsbourg und Jane Birkin, schließlich hatten Keren Ann und Biolay in jenem Jahr nicht nur dem Grandseigneur Henri Salvador ein preisgekröntes Comeback beschert, sondern Keren Ann auch das mehr als viel versprechende Debütalbum La biographie de Luka Philipsen. Die Liaison währte allerdings nur kurz – und während Benjamin Biolay in gewissem Sinne in die Fußstapfen von Serge Gainsbourg getreten ist, hat Keren Ann mittlerweile in New York ein zweites Standbein und mit dem vor zwei Jahren veröffentlichten Album Nolita hat sie gekonnt eine Brücke zwischen dem Chanson der französischen Bohème und dem Folk aus Greenwich Village geschlagen.

Auch mit ihrem nunmehr fünften Soloalbum dürfte Keren Ann die Kritiker erneut zu Jubelarien anregen. Zweisprachigen, kammermusikalischen Pop, der wirkt, als würde die Sixties-Chanteuse Françoise Hardy Balladen vom ersten Album von Velvet Underground flüstern, so der Rolling Stone über Nolita, darf man auf dem neuen Opus allerdings nicht erwarten. Wie schon auf ihrem Album Not Going Anywhere (2003) singt Keren Ann jetzt wieder ausschließlich Englisch. Außerdem scheint sie künstlerisch nun endgültig in der Neuen Welt angekommen zu sein. Keren Ann, das ist ein faszinierender Songzyklus, der sich zu neun Bildern einer Ausstellung formiert, in die man sich versenken kann und in der man immer neue Facetten entdeckt. Neun Songs, jeder für sich ein Musterbeispiel feinsten Songwritings und dazu mit einer Akribie arrangiert, die die Perfektionistin verraten. Das Studio wurde diesmal zum reinsten Labor. Eine der ganz großen Herausforderungen heutzutage ist für mich all das, was mit dem Sound und der Abmischung zu tun hat, räumt Keren Ann freimütig ein, ganz so, als wüsste sie genau, dass sie es gerne anderen Menschen überlassen kann, ihr extraordinäres Talent als Komponistin zu rühmen. Die rohen Entwürfe für die Songs hat die rastlose Künstlerin mit den Rehaugen auf Island und in Israel, in Los Angeles, Paris und New York entwickelt. Um zu dem von ihr gewünschten Ergebnis zu gelangen, ihre Songs mit Atmosphäre, ja mit Grandezza aufzuladen, hat sie mit Joe Barresi (Tool, Queens Of The Stone Age, Alanis Morissette) einen Toningenieur engagiert, dessen Arbeiten sie ungemein wertschätzt. Es ist wirklich schwer, einen Song nur mit Gitarre und Gesang gut klingen zu lassen, so Keren Ann. Ich wollte darauf auch diesmal nicht komplett verzichten, aber ich wollte auch mein Disneyland, mit Chören und Streichern und all den anderen lustigen Percussion-Ideen. Ich habe jedes einzelne Klangelement genommen und es hin und her geschoben. Klar, das hat durchaus was von Klangmalerei.

Die neun Klanggemälde auf Keren Ann mögen in erster Linie getragen sein von Keren Anns Stimme, die nicht mehr ganz so kühl und abgeklärt wirkt wie früher, sondern an Wärme und Offenheit hinzugewonnen hat. Doch die schillernden Schichten und überraschenden Wendungen, die jeden Song charakterisieren, verdienen nähere Betrachtung, sind sie doch nicht selten durchwoben von hübschen Referenzen an weibliche Kollegen. Wer wird beim Opener It's All A Lie nicht an Mazzy Star denken, jene Band um die stellare Sängerin Hope Sandoval, deren wenige Alben von vielen Menschen innig geliebt werden. Keren Anns Liebe zu Velvet Underground wiederum, die ihr denn auch schon zahlreiche Vergleiche mit Nico eingebracht hatten, wird einmal mehr deutlich, sei es in der brillant funkelnden Folk-Perle Lay Your Head Down oder in dem epischen Pop-Mantra Between The Flatland And The Caspian Sea. In The Harder Ships Of The World wiederum trifft der Weltschmerz der Piaf auf die ätherische Entrücktheit der Cowboy Junkies. Freilich sind all das nur mögliche Assoziationen. In Your Back würde wohl auch ohne die Existenz von Portishead so und nicht anders klingen. Fakt ist, dass Keren Ann noch nie so schwere Geschütze aufgefahren hat wie in dem schleppenden Rockmonstrum It Ain't A Crime, wo ihre Stimme zudem noch vom Vocoder verzerrt erklingt. Dagegen wirkt das folgende Where No Endings End wie ein kammermusikalisches Intermezzo samt Spaghettiwesterngitarre. Vielleicht ist das Kernstück des Albums Liberty, denn Keren Ann hat sich diesmal alle Freiheiten genommen, die man einem künstlerischen Freigeist ihres Kalibers einräumen muss, um zu einem solch befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Ein gigantisches Album. Give her five!

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