Vernetzt gegen Unfälle – dem Fahrer muss geholfen werden

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3

Etwas über 5.000 Verkehrstote in Deutschland, rund 40.000 in der EU aber eine Million weltweit: die Zahlen sind beeindruckend und verlangen engagiertes Handeln. Sichere Straßen und sichere Autos sind gefordert.

Nun kann man von der Autoindustrie schwerlich verlangen, sichere Straßen zu bauen, aber sichere Autos im Rahmen des technisch Machbaren und Bezahlbaren darf man schon erwarten. Was nicht geht, hat diese Woche der chinesische Hersteller Brilliance gezeigt bekommen. Ein kümmerliches Ergebnis im Euro NCAP Crashtest, eine kollabierte Fahrgastzelle, solche Autos helfen nicht, die Zahl der Verkehrsopfer zu verringern. Was geht, hat dieser Tage Mercedes gezeigt, die uns einen Einblick in die aktuelle Sicherheitsforschung und künftige Sicherheitstechnik gegeben haben. Dabei wetteifern die Schwaben interessanterweise weniger mit den Premiumrivalen von Audi und BMW und die beste Sicherheitsassistenz, sondern mit der Toyota-Luxusmarke Lexus. Beide Unternehmen zeigen ähnliche Ansätze in Forschung und Entwicklung und gehen, obwohl sich die erforschten Märkte deutlich unterscheiden, von ähnlichen Prämissen aus. Von 443.641 Verkehrsunfällen auf deutschen Straßen im vergangenen Jahr waren 4.298 auf technische Mängel zurückzuführen, 35.699 auf allgemeine äußere Einflüsse wie Glatteis, Wildwechsel oder Nebel. 403.644 mal lag ein Fehlverhalten des Fahrers vor. Auf japanischen Straßen, mit gänzlich anderer Verkehrsstruktur ergibt sich eine ähnliche Tendenz. Kein Wunder, dass beide Unternehmen zum selben Schluss kommen: Die Schwachstelle im Verkehr ist der Fahrer und es gilt, ihm die Aufgabe so leicht wie möglich zu machen, ohne ihn zu entmündigen. Für uns ist es seit jeher selbstverständlich, härteste Crashtests zu bestehen. Noch besser und intelligenter ist es, Unfälle von vornherein zu vermeiden, erläutert Daimler-Entwicklungschef Thomas Weber. ProSafe nennt Mercedes die Unfallvereidungstechnik von morgen. Vernetzt agieren die Hilfsmittel zur Gefahrenerkennung und Vermeidung. Radarsensoren vor dem Auto erkennen schon heute in vielen Fahrzeugen, ob ein Hindernis sich so schnell nähert, dass Gefahr droht. Scheint ein Zusammenstoß unvermeidlich, werden beispielsweise die Gurte gestrafft und die Sitze in die sicherste Position gebracht. Auf diese Weise verlängert sich die Knautschzone des Autos um die Meter, die das System benötigt, um die Gefahr zu erkennen und den Fahrer zu warnen. Ein frühzeitiges Bremsen baut Energie ab, die später nicht mehr in der Crashstruktur aufgefangen werden muss. Im nächsten Schritt bremst das Fahrzeug selbstständig, aber nicht mit vollem Einsatz. Die volle Bremskraft kann nur der Fahrer ausnutzen, unterstützt von Systemen wie dem Bremsassistenten, der in vielen Fahrzeugen und allen Mercedes-Modellen zur Serienausstattung zählt. Lexus stellt gerade die Nobel-Hybridlimousine LS 600h vor, die Barrieren vor dem Fahrzeug mittels Radar und Infrarotkamera erkennt. So werden auch weiche Hindernisse wie Tiere oder Fußgänger erfasst. Noch einen Schritt weiter geht Mercedes mit der Bewegungserkennung per Kamera. Das System registriert auch den Radfahrer in der Querstraße oder spielende Kinder und warnt, wenn deren Bewegung kritisch Richtung Fahrzeug verläuft. Allerdings ist dieses System noch nicht serienreif.

In Zukunft wollen die Sindelfinger Sicherheitsingenieure im Voraus so präzise wie möglich wissen: Welche Art von Unfall droht? Aus welcher Richtung wird ein anderes Fahrzeug aufprallen? Mit welcher Geschwindigkeit werden die Autos zusammenstoßen? Zusätzlich wäre in Zukunft auch eine elektronische Objekterkennung denkbar, die das Größenverhältnis entgegenkommender Fahrzeuge feststellt und deren Gewicht aufgrund gespeicherter Erfahrungswerte ermittelt. So sieht das System beispielsweise, ob sich ein Lastwagen, ein Omnibus oder ein Personenwagen auf Kollisionskurs befindet und kann die drohende Aufprallschwere berechnen. Auch die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation mittels Funktechnik kann einen wichtigen Beitrag leisten, um die Sicherheitssysteme an Bord situationsgerecht auszulösen. Im Nahbereich – also unmittelbar vor einem drohenden Unfall – könnten die Automobile in Zukunft Daten über Fahrzeugart, Masse, Steifigkeit oder Geometrie austauschen, die eine noch bedarfsgerechtere Aktivierung der Insassenschutzsysteme ermöglichen.

Damit die technischen Möglichkeiten den Fahrer nicht überfordern, forschen die Daimler-Techniker auch an der Konditionssicherheit. Was lenkt ab, was hilft tatsächlich? Fragen, die auch mithilfe des Mind-Lab beantwortet. Ein Kappe mit Elektroden verrät den Forschern, welche Hirnregion wann besonders aktiv ist und wie sich Stresssituationen beim Fahren auswirken. Dazu fahren die Probanden immer wieder die gleichen Strecken, um belastbare Daten frei von privaten Stresseinflüssen ermitteln zu können.

Die Erforschung der Fahrzeugsicherheit hat bei Daimler übrigens eine lange Tradition. Schon 1952 meldete Bela Barenyi, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, die Sicherheitskarosse mit Knautschzone zum Patent an. Auch ABS und ESP waren bei Mercedes zuerst im Serieneinsatz. Die Wirksamkeit des elektronischen Antischleuderprogramms lässt sich heute statistisch leicht nachvollziehen. Noch 1999 lag der Anteil der Fahrunfälle bei Mercedes bei rund 20 Prozent. 2000 wurde ESP serienmäßig in allen Baureihen eingeführt, die Zahl der Fahrunfälle sank auf 12 Prozent und blieb seitdem konstant auf diesem Wert, während sich der Gesamtmarkt nur langsam mit derzeit rund 16 Prozent Fahrunfälle verbessert. Schließlich hat noch immer nicht jedes Auto ESP, VSC, DSC, PSM oder ein anderes Kürzel mit elektronischer Stabilitätsfunktion an Bord.

Text: Günter Weigel

Scroll to Top