Von „Raschthäusern“ und Autos ohne Frontscheibe

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Reiseetappen in Ungarn einmal quer durch das halbe Land haben zwar eine etwas geringere Dimension als in Deutschland, der Aufwand zur Bewältigung der Kilometer ist jedoch mit ungleich höherem Aufwand verbunden. Dafür sind der Spaßfaktor und der Abenteuergehalt im Prinzip durch nichts zu bezahlen.

Die Verbindungsstraße von Bekescsaba an der ungarisch-rumänischen Grenze in Richtung der 200.000-Einwohnerstadt Debrecen ist normalerweise gut ausgebaut und der Blick auf die weite Ebene der Puszta hat sogar so etwas wie einen Schaukelstuhl-Charakter. Der aber wurde in diesem Falle nicht etwa durch unseren Testwagen, einen Nissan Terrano 2.7, mit dem wir uns zwei Wochen lang auf die Fährten von Europas besten Handballerinnen im Lande von Pep und Paprika machten, hervorgerufen. Ursächlich waren vielmehr die in liebevoller Beständigkeit auf den Asphalt zementierten tiefen Fahrbahnrillen, hervorgerufen von den Tausenden von Lkw, die sich seit Tagen, Wochen, Monaten und Jahren von Rumänien aus auf den Weg via Österreich ins immer noch maut-freie Deutschland machen. Mercedes-Benz und Telekom sei Dank!

Nach gut zwei Stunden sind wir in der Nähe von Debrecen angekommen. Das Straßenschild mit einem unaussprechlichen ungarischen Begriff, der ungefähr fünf Ö, drei CZ und vier bis fünf Buchstaben mit Strichen oben, unten und an allen möglichen Seiten beinhaltete, sagte uns erst gar nichts, wäre da nicht das Schild Douane 134 km gewesen und dazu der internationale Name für Ukraine. Irgendwie heimisch kam mir das gar nicht mehr vor. Abgesehen einmal von den am Straßenrand liegenden Gasthäusern, auf ungarisch Eterem, von denen eines irgendwann einmal Gäste aus dem Schwabenland beherbergt haben musste. Denn in schlichter sprachlicher Unverfrorenheit stand unter dem Begriff Eterem zu lesen: Raschthaus. Ob auch Spätzle oder nur Pörkölt (auf ungarisch Gulasch) auf der Speisekarte stand, entzieht sich unserer Erkenntnis, denn die Zeit drängte.

Als wir endlich in einem ungarischen Kurort mit dem lieblichen Namen Hajduszosboszlo (ersparen Sie mir hier eine sprachlich nicht angreifbareAussprache) angekommen waren, wussten wir: Irgendwo hier musste auch unser Hotel sein, das wir auch rasch gefunden hatten, nachdem es uns unter Einsatz unseres heilen Knochengerüstes gelungen war, drei draufgängerischen Taxifahrern und vier struppigen Straßenkötern mit halsbrecherischen Lenkmanövern aus dem Weg zu gehen. Einchecken und auf ins 20 Kilometer entfernte Debrecen stand als Nächstes auf dem Programm. Und siehe da: Was steht vor unserem Hotel? Ich traue meinen Augen kaum: Ein Peugeot 106 mit dem lieb gewonnenen heimatlichen Kennzeichen MZG für Merzig-Wadern aus der Heimat der KÜS und der ungarischen Aufschrift: zu verkaufen. Ob es da irgend einen saarländischen Jungmannen aufgrund nicht mehr bezahlbarer Alimente ins Ungarische verschlagen hatte, und er dort seinen fahrbaren Untersatz verkaufen musste, nun, das war nicht mehr heraus zu finden.

Das Größte aber stand uns an diesem Tag noch bevor. Straßenregeln dienen in Ungarn unserer Erfahrung der ersten zehn Tage nach zu urteilen in erster Linie dem Zwecke, nicht eingehalten zu werden. Da drängelt, hupt, überholt und schubst ein jeder, wann immer er meint, dass es an der Zeit sei dafür. Als einer dieser mobilen Zeitgenossen erneut in meinem Rückspiegel auftaucht, denke ich, mich tritt ein Pferd: Von der Frontscheibe des rumpelnden Fahrzeugs waren links noch einige aufgeplatzte Zentimeter zu erkennen, der Rest der Scheibe bestand aus einem großen Nichts, einem Loch. Sprich, dieser Rest war einfach nicht mehr vorhanden. Was den Fahrer, der mit hoch geschlagenem Mantelkragen hinter dem Steuer saß, nicht an einem wagemutigen Überholmanöver hinderte, das wir – um Schlimmeres zu verhindern – durch einen tatkräftigen Tritt auf das Bremspedal unseres Nissan Terrano wirkungsvoll unterstützten. Zu unserer Beruhigung sahen wir danach: Hinten – o Wunder – war noch eine komplette Heckscheibe vorhanden, wenn auch so dreckverschmiert, dass das Wort Scheibe eigentlich ad absurdum geführt wurde. Wie gesagt: Der Abenteuergehalt auf Ungarns Straßen ist kaum zu bezahlen.

Wird fortgesetzt.

Text: Jürgen C. Braun

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